Vea Kaiser, geboren 1988, studiert Altgriechisch in Wien. Ihr Debütroman "Blasmusikpop" wurde 2013 als bestes deutschsprachiges Debüt auf dem internationalen Festival du Premier Roman in Chambéry vorgestellt und für den aspekte-Literaturpreis nominiert. 2014 wurde sie zur österreichischen Autorin des Jahres gewählt. 2015 ist ihr zweiter Roman "Makarionissi oder Die Insel der Seligen" erschienen.

Zwei Vögel sitzen auf einem Ast, sie bilden den Mittelpunkt eines, an ein Wappen erinnerndes, Konstruktes aus Blättern, Beeren, Zweigen, Blüten, Ästen und den beiden Tieren, die den Bildmittelpunkt einnehmen.[1] Dieser Illustration fehlt es (noch) an Farbe, genauer gesagt ist sie das Sujet eines Ausmalbildes, in Johanna Basfords "Enchanted Forest", das unter dem Titel "Mein Zauberwald" bei Knesebeck erschienen ist. Dieses Malbuch für Erwachsene ist der zweite Band einer Reihe, dessen erster Teil einen Hype auslöste. 2013 erschien mit "Secret Garden" ("Mein verzauberter Garten") ein Bestseller, der mittlerweile über 1,5 Millionen verkaufte Exemplare zählt.[2] Das dritte Malbuch "Lost Ocean" wurde 2015 publiziert.

 

Selbstgemachtes

Wenn auch bei Weitem die präsentesten, so sind die Malbücher der schottischen Illustratorin mitnichten die einzigen auf dem Markt der Entspannungs- und Beschäftigungsbücher für Erwachsene. Mit "Blumenmeer und Gartenzauber" knüpft der Verlag Ars Edition inhaltlich an Basfords Rankenschwünge an. Im Vergleich dazu wird hier jedoch nicht eine per Hand gezeichnete, mit so etwas wie einem Handlungsverlauf versehene Geschichte vorstrukturiert, sondern eine gemischte Sammlung unterschiedlichster Blumenmuster angeboten. Dabei zieht sich kein roter Faden durch eine selbst noch einzufärbende Fantasiewelt. Denn hier wird mithilfe der am Umschlag abfotografierten Deko- und Basteltipps ein anderer Zugang gewählt.[3] Das Ausmalen der Bilder dient plötzlich mehr als dem entspannenden Selbstzweck: nach Fertigstellung der Bilder können daraus Lesezeichen, Geschenkanhänger und Ähnliches gestaltet werden. Diese Auslegung des Ausmaltrends bekräftigt Felicitas Kocks: "Solche Bücher passen ganz gut zur Do-it-yourself-Generation. Großstädtern, die sich in Volkshochschulkursen beibringen lassen, wie man Honigbienen hält und Marmelade einkocht."[4] Eine Generation, der das Selbermachen bereits mit in den Wortlaut gelegt wird, ist auch Zielgruppe für einen Ausmal-Block, welcher den Trend zum Malbuch mit jenem der Verwendung von modischen Typografien für freche bis tiefsinnige Lebensweisheiten vereint. Was (ansonsten fertig koloriert) seit geraumer Zeit durch diverse Social-Media-Kanäle schwirrt, wird in "Lache, liebe, lebe" zum Selberausmalen bereitet. Spruch auswählen, anmalen, Blatt heraustrennen, rahmen und fertig ist das neue Wohnaccessoire! Beispielsweise: "Mir reicht’s! Ich geh jetzt schaukeln."[5] Oder ich male lieber doch weiter. In aller Ruhe und ohne an die weitere Verwendung der Seiten zu denken.

 

Entspannungstechnik

"Das Aufmerksamkeits-Malbuch" ist dazu bestens geeignet. "Die bezaubernden Szenen und anspruchsvollen Muster dieses kleinen Malbuchs sind perfekte Aufmerksamkeits- und Kreativitätsübungen mit beruhigender Wirkung."[6], verrät schon die Einleitung. Im Vergleich überzeugt dieses von Emma Farrarons illustrierte Büchlein durch seine weniger perfekten, sichtlich per Hand gezogenen Linien. Wellen, Muster, Blätter, Tiere und Blumen laden zu einer Anti-Stress-Reise ein; sofern es mich nicht stresst, dass sich mein Farbstift immer ordentlich hinter den vorgegeben Linie bewegen muss. Mehr Können ist dafür dann aber eigentlich gar nicht nötig. "Kolorieren erlaubt Kreativität ohne Begabung. Niemand wird mit einem weißen Blatt Papier allein gelassen, alles ist vorgezeichnet. Verlieren kann nur, wer über den Rand malt."[7]

 

Farbenwahl

Ronja Larissa von Rönne formuliert, nicht ohne zynischem Unterton, weshalb KulturpessimistInnen und SoziologInnen angesichts des Malbuchhypes sowohl den Niedergang der Literatur als auch den neo-biedermeierlichen Rückzug ins Private ausrufen müssten.[8] Die Autorin endet ihre Rezension jedoch mit einer eindeutigen Kaufempfehlung für das besprochene Malbuch. Aller bissigen Kritik zum Trotz, scheint auch sie der einen oder anderen Malbuchseite verfallen zu sein. – Denn: Ja, das Ausmalen von starren Strukturen und vorgegeben Flächen ist keine hohe Kunst, kein Appell an die Kreativität und das Ergebnis eines fertig ausgemalten Blattes ebenso wenig ein künstlerisches als kreatives Werk, entfacht aber durchaus einen gewissen, positiven Sog, dem ich mich für einige Abende kaum entziehen konnte. Mit viel gutem Willen könnte ich vielleicht mit der Wahl der Farbkombinationen eine kleine schöpferisch-originelle Aufgabe gelöst haben. Doch treffen hier wohl eher die Stimmen von KulturpessimistInnen zu: Ausmalbücher für Erwachsene lassen mich nicht mit Kunst befassen, sondern viel mehr mit mir selbst. Den soziologischen Überlegungen würde ich dabei schon eher folgen wollen. Weil mit bunten Stiften in der Hand, über die Seite eines Buches gebeugt, bin ich wahrlich wenig gesellschaftsfähig. Mein persönlicher Rückzug ins Private beginnt bereits mit der aufmerksamen Auswahl des auszumalenden Motives. Dann bin ich konzentriert, auf das Malen und auf die Wahl der Farben. Dass viele der Bilder wenig anspruchsvoll daherkommen, stört mich dabei kaum. Denn alles, was ich in diesem Moment möchte, ist Ruhe. Darin kann ich zwar, im Vergleich zu anderen mir Ablenkung und/oder Entspannung verschaffenden Freizeitaktivtäten, keinen Mehrwert erkennen, Nachteile jedoch ebenso wenig. – Für heute Abend jedenfalls werde ich mich für Rot-Rosa-Lila-Orange-Töne entscheiden. Denn jetzt male ich Vögel auf verzauberten Ranken.

 

Anmerkungen

[1] Vgl.: Johanna Basford: Mein Zauberwald. Ein magisches Papierabenteuer. 2. Aufl. München: Knesebeck 2015.

[2] Vgl.: Julia Röhr: Johanna Basford. Die Schwarzweißmalerin. In: Frankfurter Allgemeine Online vom 15. 05. 2015, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/johanna-basford-mit-malbuechern-fuer-erwachsene-zum-erfolg-13594196.html [29. 5. 2015, 14:23].

[3] Vgl.: Blumenmeer & Gartenzauber. Ein Blütentraum zum Ausmalen. München: Ars Edition 2015.

[4] Felicitas Kock: Kritzeln gegen den Stress. In: Süddeutsche Online vom 19. April 2015, http://www.sueddeutsche.de/stil/2.220/trend-malbuecher-fuer-erwachsene-kritzeln-gegen-den-stress-1.2434628 [29. 5. 2015, 15:05].

[5] Lache, liebe, lebe. Fröhliche Zitate zum Ausmalen, Verschenken & Dekorieren. München: Ars Edition 2015.

[6] Emma Farrarons: Das Achtsamkeits-Malbuch. Ein Anti-Stress-Vergnügen. München: Knaur 2015.

[7] Felicitas Kock: Kritzeln gegen den Stress.

[8] Ronja Larissa von Rönne: Malbücher für Erwachsene. Ist jetzt alles vorbei? In: Welt Online vom 14. April 2015, http://www.welt.de/kultur/article139509006/Malbuecher-fuer-Erwachsene-Ist-jetzt-alles-vorbei.html

Ausmalbücher für Erwachsene sind ein Trend, der – zwar weder neu noch innovativ – eine analoge Form der Entspannung bieten will. Ein Einblick mit Selbstversuch.

AutorIn: 
Andrea Kromoser
Thema des Monats Teaser: 

Ausmalbücher für Erwachsene sind ein Trend, der – zwar weder neu noch innovativ – eine analoge Form der Entspannung bieten will. Ein Einblick mit Selbstversuch.

Sucht ist eine Krankheit und beschreibt die Abhängigkeit von legalen (Alkohol, Tabak) beziehungsweise illegalen Substanzen (Cannabis, Heroin) oder von Verhaltensweisen (Glücksspielsucht, Esssucht, Kaufsucht). Eine Suchterkrankung entsteht nicht von heute auf morgen. Sie entwickelt sich über einen längeren Zeitraum, hat meist mehrere Ursachen und kann in verschiedenen Bereichen ihren Ursprung haben:

 

  • in der Persönlichkeit eines Menschen (mangelnde Selbstsicherheit, geringe Frustrationstoleranz)
  • in der Gesellschaft mit ihren Werten und Normen (was ist gesellschaftlich angesehen, was nicht, ab welchem Alter darf man rauchen, Alkohol trinken)
  • in der aktuellen Lebenssituation (Probleme, Stress, Arbeitslosigkeit)
  • beim Suchtmittel oder der süchtig machenden Verhaltensweise (Verfügbarkeit, Preis)

 

Suchtvorbeugung sollte so früh wie möglich beginnen. Gerade im Kindesalter werden die Weichen für spätere Verhaltensweisen und somit auch die Grundlagen für die Widerstandsfähigkeit gegenüber belastenden Einflüssen gelegt. Für die Suchtvorbeugung gibt es zwei wichtige Ansatzpunkte: Einerseits gilt es, das Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen möglichst gesundheitsförderlich zu gestalten. Beispiele dafür wären das Rauchverbot in der Gastronomie, ein abwechslungsreiches Freizeitangebot oder auch die Gestaltung von Kindergärten und Schulen. Andererseits, und hier kann jeder Erwachsene seinen Beitrag leisten, sollten Kinder in ihren Lebenskompetenzen gestärkt werden während gleichzeitig mögliche Risikofaktoren verringert werden.

 

Lebenskompetenzen erwerben

Doch was versteht man unter dem Begriff Lebenskompetenzen? Dabei handelt es sich um Fähigkeiten, die einem dabei helfen, mit Problemen, schwierigen Situationen und Herausforderungen besser umzugehen. Das sind Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Umgang mit Stress, Kommunikationsfähigkeit oder Selbstwahrnehmung. Um diese Idee anschaulich zu machen, kann man das Modell des „Schutzschirms“ verwenden. Im Laufe unseres Lebens erwerben wir verschiedene Lebenskompetenzen oder Schutzfaktoren. Ähnlich einem Regenschirm, der uns vor Nässe schützt, bewahren uns diese Fähigkeiten vor so genannten Risikofaktoren. Schulische Probleme, negative Vorbilder oder fehlende Zukunftsperspektiven sind Beispiele für Risikofaktoren. Schutzfaktoren können die Wirkung von Risikofaktoren mildern und so vor einer späteren, möglichen  Suchtentwicklung schützen. Um sich mehr darunter vorstellen zu können, hier die wichtigsten Schutzfaktoren und wie man sie fördern kann:

 

  • Ich-Stärke
    Darunter versteht man die Selbstwirksamkeit (Vertrauen in die eigenen Stärken), das Selbstvertrauen (Vertrauen in das eigene Können) und das Selbst(wert)gefühl (Wer bin ich und wie gut kenne ich mich?) eines Kindes. Bezugspersonen unterstützen die Ich-Stärke, wenn sie die emotionalen Bedürfnisse eines Kindes ernst nehmen, Stärken fördern, Verantwortung übertragen und genügend Freiraum geben.
     
  • Umgang mit Gefühlen
    Kinder sollen lernen, Gefühle zu erkennen, sie zu benennen und entsprechende Möglichkeiten finden um sie auszuleben. Erwachsene sollen die Gefühle von Kindern ernst nehmen, selbst Gefühle zeigen und Vorbilder sein.
     
  • Frustrationstoleranz
    Dies ist die Fähigkeit, Enttäuschungen wegzustecken und Bedürfnisse aufzuschieben. Bezugspersonen sollen Kinder bei Misserfolgen ermutigen, sie Fehler machen lassen und vermitteln, dass Enttäuschungen nicht immer zu vermeiden sind.
     
  • Genussfähigkeit
    Genießen heißt, sich mit allen Sinnen auf etwas einzulassen, was gut tut. Die Fähigkeit etwas genießen zu können, hilft dabei zu entscheiden, was für mich als Person gut ist und was nicht. Bezugspersonen sollen Genuss aber auch Verzicht vorleben und Kinder nicht mit Spielzeug, Süßigkeiten oder anderen Konsumgütern überhäufen.
     
  • Kreativität und Aktivität
    Unter Kreativität versteht man die Fähigkeit, eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Erwachsene sollen Freiräume schaffen, in denen es nicht um Leistung geht. Man muss Kindern die Möglichkeit geben, die Welt mit allen Sinnen aktiv zu erforschen und ihnen beibringen, auch Langeweile auszuhalten.
     
  • Körperbewusstsein
    Die Entwicklung des Körperbewusstseins geschieht durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt und wird Großteils in der Kindheit geprägt. Ein gesundes Körperbewusstsein bekommen Kinder, wenn sie unterschiedliche Möglichkeiten haben, den Körper zu spüren und zu erleben und gleichzeitig aufbauende Rückmeldungen aus ihrem Umfeld bekommen.
     
  • Soziale Kompetenz
    Darunter versteht man eine Vielzahl von Fähigkeiten im Bereich der Kommunikation, der Konfliktlösung und dem Verhalten von Kindern in einer Gruppe. Durch die positive Vorbildwirkung von Erwachsenen lernen Kinder einen wertschätzenden Umgang miteinander oder auch, wie man Konflikte konstruktiv löst.

 

Die sichere Bindung zu einer Bezugsperson von Beginn an ist entscheidend. Wenn sich das Kind sicher fühlt wird es spielen, entdecken, Angebote annehmen – und ist dadurch in der Verfassung zu lernen und sich Schutzfaktoren anzueignen. Wenn ein Kind heranwächst, gibt es immer wieder Situationen oder Erlebnisse, die Kinder besonders herausfordern (beispielsweise Streit in der Familie oder der Übergang vom Kindergarten in die Schule). Erwirbt ein Kind nach und nach Schutzfaktoren, so wirken diese als Puffer gegen negative Ereignisse. Schutzfaktoren führen nicht zu einer Verringerung von Risikofaktoren, aber sie erleichtern dem Kind den Umgang mit und die Verarbeitung solcher Erlebnisse. Stress und Probleme werden eher als herausfordernd denn als belastend erlebt, die Bewältigungsstrategien sind problemorientiert-aktiv statt vermeidend-passiv. Dieser gesunde Umgang mit Herausforderungen führt im Idealfall dazu, dass Probleme später nicht mit Suchtmitteln oder süchtig machenden Verhaltensweisen "gelöst" werden. Starke, selbstbewusste Kinder sagen "ja" zum Leben und "nein" zur Sucht.

 

Die Rolle von Kinderbüchern

Wird der Einsatz von Bilderbüchern mit dem oben besprochenen Modell des Schutzschirms und den dazugehörigen Schutzfaktoren in Verbindung gebracht, lassen sich Bilderbücher grob den unterschiedlichen Lebenskompetenzen zuordnen und sie helfen dabei, diese aufzubauen und zu fördern. Kinderbücher regen das Denken an, sie bieten Modelle für soziales Verhalten, sie sprechen das Gefühlsleben an, unterstützen das Verständnis für Werte und helfen bei der Entwicklung von Sprache und kreativen Fähigkeiten. Die gemeinsame Zeit, die Freude und Begeisterung beim gemeinsamen Lesen und Anschauen der Bilder, das Vorlesen beziehungsweise Zusammenfassen der Geschichten von Bilderbüchern schenkt Kindern ein beruhigendes Gefühl, gibt ihnen Sicherheit und stärkt die Beziehung zwischen VorleserIn und Kind. Bilderbücher lassen die Fantasie wachsen und schaffen Gesprächsanlässe. Durch ihre Geschichten liefern Bilderbücher Beispiele für verschiedene Verhaltensweisen, Konfliktlösungen und zeigen Wertvorstellungen auf.

 

Literarische Vorbilder wirken zudem identitätsstiftend und unterstützen die Entwicklung der Ich-Stärke. Unterschiedliche Gefühle angesprochen. Kinder können so ihre eigenen Gefühle besser zu verarbeiten.(1)

 

Die Kinderbücher, die es in der Fachbibliothek von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention (einmaliger Mitgliedsbeitrag von 3,50 Euro, danach ist das Ausleihen von Büchern, DVDs und Zeitschriften kostenlos) gibt, werden speziell ausgewählt, um die Förderung von Lebenskompetenzen zu unterstützen. Zudem bietet VIVID – Fachstelle für Suchtprävention in der gesamten Steiermark zahlreiche kostenlose Fortbildungen zu dem Thema an.

 


Anmerkungen:

[1] Zwei Beispiele für den Einsatz von Bilderbüchern in der Suchtprävention finden Sie hier unter "Ideen zum Thema".

 

Literatur: 

  • Suchtprävention im Kindesalter. VIVID – Fachstelle für Suchtprävention, Graz 2009
  • Schutzschirm vgl. Landesstelle Suchtprävention Kärnten
  • Wie schütze ich mein Kind vor Sucht. Institut Suchtprävention OÖ, Linz 2007.

Suchtvorbeugung sollte schon im Kindesalter beginnen. Erwachsene und Bezugspersonen können einen essentiellen Beitrag dabei leisten, Kinder zu stärken. Auch Kinderbücher spielen dabei eine wichtige Rolle.

AutorIn: 
VIVID – Fachstelle für Suchtprävention

Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik sowie Germanistik studierte und heute als Übersetzer und freier Schriftsteller lebt. 2011 wurde er für seinen Erzählband "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Sein Roman "Indigo" stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012 und wurde mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 ausgezeichnet. 2014 erschien sein erster Gedichtband "Die Vogelstraußtrompete" und 2015 sein Erzählband "Glücklich wie Blei im Getreide".

Am zweiundzwanzigsten Juli fuhr ich früh nach Wien, von wo aus ich am Nachmittag weiter nach Amsterdam fliegen würde. In Begleitung zweier befreundeter Damen ging ich in die Gruft unter dem Stephansdom. Ich war bis dahin nie dort gewesen, obwohl ich es oft vorgehabt hatte. Diesmal blieb uns allerdings nichts anderes übrig, denn der Wetterbericht hatte mit geisteskranken 38° angegeben und ich trug, wie immer, viel zu viele Schichten Kleidung übereinander. Sogar ein schwarzes Sakko gehörte zu meiner Aufmachung an diesem Tag.

Beschreibung: 

Eine Lesung mit der Autorin Eva Katharina Kramer aus München mit dem Titel "Mein Mann der Narziss" lässt in mir die Befürchtung aufsteigen, dass möglicherweise wenige BesucherInnen zu erkennen geben, dass sie dieses Thema interessiert, weil in einer Gemeinde, die 2.000 EinwohnerInnen hat, kann das auch zum Dorfgespräch führen.

 

So habe ich folgende Idee: vor der Lesung sollen alle Frauen, die in unserer Gemeinde Produkte, Dienstleistungen, Visionen, Ideen, ...  anbieten die Möglichkeit und damit die Plattform erhalten, in der Öffentlichen Bücherei dies zu präsentieren. Nachdem die Werbung für diesen "Frauenabend" an die Haushalte ergangen ist, haben sich sehr viele Frauen gemeldet, dass sie diese Gelegenheit ergreifen möchten. So stellen wir Tische in einem der Räume der Bücherei auf und dort haben die Frauen diese Plattform genutzt, ihre Waren oder Folder usw. gezeigt - aber nicht verkauft! Noch mehr Frauen und auch mutige Männer ergreifen die Gelegenheit und erkunden, was alles in unserer Gemeide von Frauen angeboten wird. Auch neu zugezogene Frauen nutzen dieses Angebot, um auf diese Weise Menschen in der Gemeinde kennenzulernen. Alle BesucherInnen dieser Plattform bleiben auch da um die Lesung zu genießen, und die Autorin gibt nach einer Stunde Lesung noch eine Stunde Antworten auf viele Fragen, die dann auch gestellt werden, weil man sich nach dem Kennenlernen beim Präsentieren auch nicht mehr so fremd ist.

 

Den Abschluss bildet ein Buffet von Frauen, die in der Gemeinde einen Bioladen, einen Hofladen und ein Lebensmittelgeschäft führen. So bekommen auch sie eine Gelegenheit zu präsentieren.

Bibliothek: 
Öffentliche Bücherei Sitzenberg-Reidling
Beitrag von: 
Ursula Liebmann
Zielgruppe: 
Anzahl der TeilnehmerInnen: 
ca. 60
Zeitdauer: 
4 Stunden
Vorbereitung: 
  • Werbung an Haushalte, auf Homepage und Plakate
  • Tische für die Präsentationen (1 Tisch für 2 Frauen)
  • Buffet
  • Tisch für die Lesung inkl. Wasser und Licht
  • Sessel für die BesucherInnen der Lesung
Anmerkungen: 

Die Veranstaltung hat zur Folge, dass mich sehr viele Menschen ansprechen, wann wir wieder so eine Veranstaltung machen. Sie möchten auch präsentieren!

Eine Besucherin möchte gerne im Zuge ihrer Masterarbeit im Philosophiestudium ein Philocafe machen, da ihr die Veranstaltung mit Lesung und anschließenden Fragen/Diskutieren so gut gefallen hat.

 

Beschreibung: 

In unserer Gemeinde leben einige Menschen, die Deutsch nicht als ihre Muttersprache sprechen.

 

Wir haben einige dieser Menschen in die Bücherei eingeladen, um uns ihre Sprache näher zu bringen. Bei dieser Vier-Sprachen-Lesung dürfen wir Tschechisch, Rumänisch, Irisch & Gälisch zusätzlich zu Deutsch hören.

 

Damit alle Gäste der Veranstaltung wissen,was in etwa gelesen wird, haben wir uns dazu entschieden, ein Märchen, nämlich "Schneewittchen", vorzutragen und gleichzeitig mit dem Kamishibai zu begleiten. So zeigen die Bilder wo die Vortragenden sich gerade im Text befinden, wenn die Sprache nicht verstanden wird. Außerdem haben Märchen oft rhythmische Passagen, wie z.B. "Spieglein, Spieglein an der Wand", was durch die Sprachmelodie in allen vorgetragenen Sprachen erkannt werden kann.

 

Schon vor dem Beginn der Veranstaltung haben wir die Räumlichkeiten der Bücherei mit Papieren geschmückt, auf die wir die Worte aus den vorgetragenen Sprachen aufgemalt hatten.

 

Nach der Lesung ziehen alle aus einem Hut kleine Zetteln, die auch Worte oder Sätze in den vier Sprachen, die vorgetragen worden sind, enthalten, und alle raten, was diese Sätze, Worte bedeuten.

 

Zum Abschluss laben sich alle Gäste am Buffet mit Speisen aus vier Ländern und schmökern beim Büchertisch in tschechischen, rumänischen, irischen/englischen und deutschen Büchern.

Bibliothek: 
Öffentliche Bücherei Sitzenberg-Reidling
Beitrag von: 
Ursula Liebmann
Zeitdauer: 
45 Minuten
Vorbereitung: 
  • Kamishibai mit Schneewittchenfolien bestücken
  • Textpassagen in die verschiedenen Sprachen aufteilen
  • Hut mit Zettelchen in den verschiedenen Sprachen vorbereiten
  • A4 Zettel mit bekannten Wörtern oder Sätzen, z.B Danke, Bitte, Auf Wiedersehen, Wie geht es dir?, usw. in den verschiedenen Sprachen - in verschiedenen Farben - schreiben und in den Räumlichkeiten aufhängen
  • Buffet aus den verschiedenen Ländern
  • Büchertisch mit den Büchern aus den verschiedenen Ländern
Anmerkungen: 

Die Veranstaltung ist außerordentlich gut angekommen, die Medien haben überschwänglich davon berichtet und die Öffentliche Bücherei bekommt dafür den NÖ Kulturanerkennungspreis 2015.

 

Idee nach: 

Ursula Liebmann und Team

1925 erschien mit "Männer der Technik" von Conrad Matschoß (1871-1942), der ab 1909 Jahrzehnte lang an der Technischen Hochschule Charlottenburg, später Technische Hochschule Berlin, als Dozent wirkte, ein laut Untertitel "biographisches Handbuch". Nach Matschoß ist auch ein Preis für Technikgeschichte benannt, der nach längerer Pause seit dem Jahr 2006 wieder verliehen wird. 

 

Männer der Technik: Sinnfälliger hätte sein Buch nicht überschrieben sein können. Brachte der Hochschuldozent doch noch viele andere Bände heraus, allesamt über Ingenieure, die große Firmen gründeten, aus denen sich teils weltumspannende Firmen wie Bosch oder Siemens entwickelten. Matschoß’ erstes Buch hatte sich der Dampfmaschine gewidmet, sein letztes kreiste zu Beginn des Zweiten Weltkriegs um die Geschichte des Zahnrades. 

 

Technik ist anders 

Doch seit 1925 und seit Matschoß’ Darstellungen und Porträts hat sich im Lauf von fast 90 Jahren das Gebiet der Technik und der Technikgeschichte in Buchform derart verändert und eine Erweiterung der Aspekte und Darstellungsarten erfahren wie kaum ein anderes Feld im Sachbuchsegment.

 

"Technikgeschichte ist … keine Geschichte von Erfindern oder von Artefakten, und auch keine Geschichte der Rekonstruktion technischer Entwicklungen. Vielmehr beschreibt und analysiert sie die Entstehung, Verbreitung und Nutzung von Technik, kurz technischen Wandel und dessen Wechselwirkung mit der Gesellschaft."(1) So die jüngste Beschreibung dieses Gebiets aus der Feder der an einer Hamburger Universität lehrenden Professorin für Neuere Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte Martina Heßler. 

 

Der früher sehr enge, rein technizistische und auf einzelne "große" Persönlichkeiten, durchweg Männer, fokussierte Zugang zu Technik und die Ausrichtung auf die geschichtliche Entwicklung und progressive Verbesserung der technischen Umwelt haben sich im Lauf der Jahre umfassend erweitert. 

 

Das soziale Umfeld der Technisierung wird inzwischen ebenso breit berücksichtigt wie die damit einhergehende, nicht selten hinterherhinkende Industrialisierung des Bewusstseins. Die Erzählungen über Forschungen und Innovationen werden eingebettet in kulturelle, politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Veränderungen.(2)

 

Auch bei Einzeldarstellungen eminenter Wissenschaftler wird nicht mehr aus einer heroisierenden Verehrungsperspektive geschrieben, vielmehr Charakter, Wirkung und Vorgehen, von Konrad Lorenz und Otto Koenig bis zu Physikern wie Niels Bohr und J. Robert Oppenheimer, facettenreich ausgeleuchtet und bewertet.(3)

 

Technik ist überall und alles 

Vor allem im letzten Vierteljahrhundert des 20. Jahrhunderts, seit dem Siegeszug des Computers und der seither immer schneller und immer atemloser voranschreitenden Digitalisierung des Alltagslebens und der Revolutionierung von Kommunikation und Lebensstil, Stichwort: Internet, hat die technologische Kultur so stark wie niemals zuvor die Welt verändert. 

 

Die "Herrschaft der Mechanisierung", so der Titel einer seit seiner Erstveröffentlichung 1948 mehrfach neu aufgelegten Monographie des Schweizer Technikhistorikers Sigfried Giedion, und der "Mythos der Maschine", wie der US-Amerikaner Lewis Mumford 1964 sein einflussreiches Buch nannte, haben inzwischen ganz andere Formen angenommen.(4)

 

Diese führen das Phänomen der Technik in all ihrer zeitgenössischen Komplexität vor und gehen darin weit über die klassischen kulturkritischen Untersuchungen des 20. Jahrhunderts von Philosophen wie Günter Anders, Theodor W. Adorno oder Martin Heidegger hinaus. Sie thematisieren angesichts der Rasanz voranschreitender Technologien die Vielgestaltigkeit und die daraus entstehenden wechselseitigen Abhängigkeiten von Benutzer und benutzter Technik, von Gewohnheit und Aneignung wie von kreativer Zerstörung und destruktiven Möglichkeiten.(5) So wächst Technikgeschichte ein ungewöhnlich großes Potenzial an Möglichkeiten zu, aber zugleich ebenfalls eine ungeahnte politische Sprengkraft. 

 

So geht es in Büchern aus diesem Segment einerseits um internationale und globale Zukunftsszenarien aus dem Silicon Valley. Diese Einflüsse sollen das Leben ebenso zu transformieren in der Lage sein wie der Einsatz von Nanotechnologie, deren Befürworter damit Krankheiten lindern und heilen möchten, während andere auf unberechenbare Risiken verweisen.(6)

 

Andererseits werden aber heutzutage auch kleinere Mikrokosmen und überraschende Zusammenhänge untersucht, etwa User-Design und Konsumverhalten, Alltagspraktiken und Herrschafts- wie Geschlechterverhältnisse.(7)

 

Innen und Außen, Kosmos, Licht, Zeit 

Viele Physiker richten ihren Blick gleich ins All und schildern die Geschichte des Universums(8) oder erläutern auf allgemeinverständliche Art außergewöhnliche Theorien über Superstrings und Paralleluniversen.(9)

 

Manche bleiben hingegen auf dem Boden. So der Münchner Zoologe Josef H. Reichholf, der in den vergangenen 25 Jahren zwei Dutzend Bücher über Fauna und Flora und Ökologie veröffentlicht hat, zuletzt mit "Ornis" ein Buch über Vögel.(10) Andere widmen sich der Erde, ihren Elementen und deren Bedrohungen.(11)

 

Ganz ins Innere des menschlichen Körpers führen aktuelle Forschungen, bei denen sich Biologie, Chemie und Physik miteinander verquicken. Im Zuge dessen sind diese Fächer in jüngster Zeit kritischer denn je begleitet worden. So ist etwa die Biochemie im Zuge philosophischer, juristischer wie ethisch-moralischer Argumentationen um Genetik, pränatale Diagnostik und die Verquickung von akademischer Forschung mit privatwirtschaftlichen Interessen in den Fokus einer breiten politischen und gesellschaftlichen Debatte gerückt. 

 

Ganz Ähnliches gilt auch für die Nahrungsmittelchemie und etwa den umstrittenen Anbau und Verzehr genetisch modifizierter Lebensmittel und deren langfristiger Folgen für den Menschen, aber ebenso auch um die ethischen und religiösen Grenzen biochemischer Forschung, Stichwort: Klonen.(12)

 

Über die Welt gebeugt 

Am Ende steht im naturwissenschaftlichen Sachbuchsektor präzise stets und allgegenwärtig eines: die präzise "Berechnung der Welt", wie Klaus Mainzer sein jüngstes Buch treffend überschrieb. Und das, was der Konstanzer Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer für sich trotz wissenschaftlicher Seriosität zur Leitprämisse erhoben hat: das unablässige Staunen über die Welt.(13)

 

Was ihn verbindet mit dem vielleicht größten Ahnherrn der neuzeitlichen Botanik, mit dem von Victor Hugo als "Homer der Insekten" bezeichneten Franzosen Jean-Henri Fabre (1823-1915).

 

Dessen "Erinnerungen eines Insektenforschers" erscheinen derzeit erstmals vollständig in einer neuen Übertragung. Die auf zehn Bände angelegten Edition (bis 2014 sind sechs erschienen) wird illustriert vom Zeichner Christian Thannhauser aus Ottensheim an der Donau. In einer von Fabres intensiven, noch immer packenden Schilderung trat er selber auf: auf den Knien liegend vor einem Thymianbusch, eine Lupe in der Hand, einen alten Filzhut auf dem Kopf, gebannt von den Vorgängen, die sich vor ihm abspielen – einer kleinen Sandwespe auf Beutejagd.(14)

 

Anmerkungen

(1) Martina Heßler: Kulturgeschichte der Technik, Frankfurt am Main und New York 2012, S. 8

(2) George Dyson: Turings Kathedrale. Die Ursprünge des digitalen Zeitalers, Berlin 2014; Richard von Schirach: Die Nacht der Physiker, Berlin 2012

(3) Benedikt Föger und Klaus Taschwer: Die andere Seite des Spiegels. Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus, Wien 2001; Leopold Lukschanderl: Otto Koenig. Der Tierprofessor vom Wilhelminenberg, Wien 2014.

Ernst Peter Fischer: Niels Bohr, München 2012; Kai Bird und Martin J. Sherwin: J. Robert Oppenheimer, Berlin 2009

(4) Sigfried Giedion: Mechanization Takes Comannd, New York 1948, deutsche Ausgabe: Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Betrag zur anonymen Geschichte, Frankfurt am Main 1982; Lewis Mumford: The Myth of the Machine, New York 1964; deutsche Ausgabe: Mythos der Maschine, Zürich 1974

(5) Nicholas Carr: Abgehängt. Wo bleibt der Mensch, wenn der Computer entscheidet? München 2014

(6) Christoph Keese: Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt, München 2014; Christian Meier: Nano. Wie winzige Technik unser Leben verändert, Darmstadt 2014

(7) Andrew Pickering: Kybernetik und Neue Ontologien, Berlin 2007; Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Gesellschaft, Frankfurt am Main 2007

(8) Lee Smolin: Im Universum der Zeit. Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Kosmos. , München 2014; Ben Moore: Da draußen. Leben auf unserem Planeten und anderswo, Zürich 2014

(9) Brian Greene: Das elegante Universum. Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel, Berlin 2000

(10) Josef H. Reichholf: Ornis. Das Leben der Vögel, München 2014

(11) Maude Barlow: Blaue Zukunft, München 2014; Gerald H. Pollack: Wasser – viel mehr als H20, Kirchzarten 2014

(12) Jens Kersten: Das Klonen von Menschen. Eine verfassungs-, europa- und völkerrechtliche Kritik, Tübingen 2004

(13) Klaus Mainzer: Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel bis Big Data, München 2014; Ernst Peter Fischer: Die Verzauberung der Welt. Eine andere Geschichte der Naturwissenschaften, München 2014

(14) Jean-Henri Fabre: Erinnerungen eines Insektenforschers, Berlin 2009-2014

Unsere digitale Welt ist eine von Naturwissenschaften und Technik dominierte Welt. Doch aktuelle Technologien wie auch die sprunghaft sich entwickelnden, inzwischen Kritik auf sich ziehenden Gebiete Physik, Chemie und Biologie haben Vorgeschichten, auf denen sie aufbauen.

AutorIn: 
Alexander Kluy

In Österreich leben 1,7 Millionen Menschen mit einer Form der Beeinträchtigung (Mobilitätseinschränkung, Sinnesbehinderung wie Sehbeeinträchtigung/ Blindheit oder Schwerhörigkeit/ Gehörlosigkeit, psychische Beeinträchtigung, Lernschwierigkeiten). Seit Österreichs Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention und nationaler/ regionaler Aktionspläne zu deren Umsetzung kommt dem Recht auf Bildung und Weiterbildung von Menschen mit Beeinträchtigung ein immer größerer Stellenwert zu.

 

Barrierefreiheit in Bibliotheken gilt als eine der Voraussetzungen, um "Lebensbegleitendes Lernen" nicht nur für bestimmte Zielgruppen, sondern für alle zu realisieren. Gerade Bibliotheken ermöglichen es, durch ihre vielfältigen Angebote Teilhabemöglichkeiten zu erweitern. Auch die "hard facts" lassen sich nicht einfach beiseite wischen: Mit 1. Jänner 2016 müssen in Österreich alle öffentlich zugänglichen Gebäude barrierefrei sein. Dies gilt für Geschäfte, Restaurants, Hotels, Freizeitunternehmen, Kulturbetriebe und selbstverständlich auch für Bibliotheken – und dann gilt es bei Nicht-Realisierung dieser Gesetzesvorgabe im Klagsfall wegen Diskriminierung seitens des Bibliotheksträgers nachzuweisen, dass zumindest Anstrengungen unternommen wurden, um die Barrierefreiheit zu erhöhen.

 

Was bedeutet Barrierefreiheit?

 

Unter Barrieren versteht man

  1. Alle von Menschen gestalteten Erschwernisse, Einschränkungen und Hindernisse, die behinderte Menschen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können (und die aus Sicht nicht-behinderter Menschen in der Regel nicht als Barrieren wahrgenommen werden)
  2. Hindernisse beim Zugang zu dem, was uns verhilft, ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu leben (z.B. Bildung)
  3. Barrieren können physischer/baulicher (z.B. Stufen ohne Handläufe, nicht markierte Türschwellen, fehlende Ausstattung wie eine unterfahrbare Ausleihe, fehlendes Behinderten-WC), sozialer (Vorurteile, bewusster Ausschluss), kommunikativer (falsches Kommunikationsverhalten) oder intellektueller Natur sein (z.B. Nicht-Wissen um „Einfache Sprache“).

     

Man unterscheidet daher zwischen

  • Baulicher / physischer (barrierefreie Erreichbarkeit / bauliche Zugänglichkeit der Räume)
  • Sozialer (Rolle des pädagogischen Personals, der TrainerInnen/Vortragenden) und
  • Kommunikativer Barrierefreiheit (Aufbereitung von Informationen, Materialien, Kommunikationsverhalten)

     

Eine barrierefreie Umwelt ist

  • für 10% der Bevölkerung unbedingt erforderlich
  • für 30% bis 40% notwendig und
  • für 100% der Bevölkerung komfortabel und einladend – auch Personen mit Kinderwagen oder einem Gipsbein profitieren von einem ebenerdigen Zugang etc.

     

Öffentliche Bibliotheken stoßen hinsichtlich Barrierefreiheit oft an ihre finanziellen (bauliche Änderungen, Budget für speziellen Medienankauf o.Ä.) oder persönlichen Grenzen (Stichwort Ehrenamtlichkeit, aber auch eigene Ängste, Vorurteile; Nicht-Wissen). In jedem Fall ist Barrierefreiheit für Bibliotheken ein Thema auch auf Träger-/Management-Ebene und muss die ganze Institution mit allen MitarbeiterInnen einbeziehen. Barrierefreiheit erfordert eine entsprechende Grundhaltung, die sich stark auf die Organisationskultur auswirkt. Schon kleine Maßnahmen wie eine ausführliche Anfahrts- und Wegbeschreibung auf der Website oder Lesebrillen können viel bewirken – 100%ige Barrierefreiheit bleibt wahrscheinlich ein anzustrebendes Ideal sowie die Arbeit am Abbau von Barrieren ein permanenter und ergebnisoffener, umfassender Veränderungsprozess von Organisationen ist. In jedem Fall sollte das Thema Barrierefreiheit in der Ausbildung der BibliothekarInnen verankert und mehr Weiterbildungsangebote und Informationen zum Thema entwickelt werden.

 

Barrierefreiheit beginnt nicht erst beim Eingang der Bibliothek – Barrierefreiheit beginnt im Kopf!

 

Maßnahmenplanung und Umsetzung (Auswahl):

  • Gebäude, Räume, Ausstattung: Weg zur Bibliothek – Hinweisschilder? Behindertengerechte Sanitäranlagen? Genug Bewegungsraum zwischen den Regalen? Behindertenparkplatz?
  • Bibliotheksangebot/Programm/Medienbestand: (einfach formulierte) Beschreibung über das Angebot der Bibliothek, über die Anmeldungsmodalitäten, Benutzerordnung? Wie und wo finden sich dazu Informationen? Gibt es jemanden, der Menschen mit Beeinträchtigungen helfen kann? Gibt es Kontakte zu geschulten ReferentInnen, zu anderen Einrichtungen? Hörbücher für blinde Personen, Literatur in einfacher Sprache? Gibt helle Räume, eine gute Beleuchtung?
  • Öffentlichkeitsarbeit: mit welchen Methoden? Ansprechperson für Barrierefreiheit? Wie sind Website und Flyer, Handouts etc. gestaltet (Schrift, Farben, Bildunterschriften, Kontraste Informationen)? Wissen Menschen mit Beeinträchtigung um das Angebot der Bibliothek?
  • MitarbeiterInnen: Umgang & Kommunikation, Haltung, Didaktik, Fort-u. Weiterbildung, Beschäftigung – arbeiten auch Menschen mit Beeinträchtigung in der Bibliothek? Wo könnten sich Kooperationen ergeben? Haben Menschen mit Beeinträchtigung überhaupt das Gefühl, dass sie willkommen sind?

     

Barrierefreiheit in Bibliotheken kann also im Detail vieles bedeuten – es geht nicht immer um große finanzielle Investitionen in einen Rampenbau o.Ä.:

  • Ein Medienservice für Menschen, die nicht außer Haus gehen können
  • Die Bereitschaft, LeserInnen mit Behinderungen kennenzulernen und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen, sich mit ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen
  • Einen Link  auf der Website zu einer Video-Bibliothek für Gehörlose setzen
  • Aufmerksam die Bibliotheksumgebung nach Barrieren zu erkunden
  • Schwierige Texte in „Einfache Sprache“ umformulieren (lassen)
  • Drucksorten und Texte überprüfen auf Leserlichkeit und Schriftgrößen und Farbgebung, Lesebrillen anbieten
  • Website barrierefrei gestalten lassen
  • Ein freundliches Wort, eine einladende Geste…

 

Gesellschaftlicher Wandel und veränderte Bedürfnisse an Bildungsangeboten stellen an Bildungseinrichtungen neue Ansprüche. Das Recht auf Bildung haben alle. Menschen mit Beeinträchtigung sind aktive TeilnehmerInnen der Gesellschaft mit gleichen Rechten und Pflichten.

AutorIn: 
Verena Gangl
Thema des Monats Teaser: 

Gesellschaftlicher Wandel und veränderte Bedürfnisse an Bildungsangeboten stellen an Bildungseinrichtungen neue Ansprüche. Das Recht auf Bildung haben alle. Menschen mit Beeinträchtigung sind aktive TeilnehmerInnen der Gesellschaft mit gleichen Rechten und Pflichten.

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