Mehr noch als das: manchmal können die Bilder in Pop-up-Büchern fliegen. In "Komischer Vogel" von Philippe Ug zum Beispiel. Dort erheben sich beim Aufblättern eigenwillige jedoch ebenso elegante Vogelfiguren aus den Buchseiten: "Die ersten Sonnenstrahlen kitzeln die Vögel aus ihren Träumen." (1) Für die Darstellung von Natur aus nach oben, gegen Himmel strebende Lebewesen scheint das Pop-up besonders gut geeignet. Denn sie erzielen sozusagen doppelte Wirkung. Anouck Boisrobert und Luis Rigaud geben in "Das Faultier im Pop-up-Wald" diesem Naturgesetz ebenfalls Raum und lassen Bäume wachsen. Während auf einer Doppelseite mittels beweglicher Papierlasche jungen Baumsetzlingen bei ihrer ersten Wachstumsphase geholfen werden kann, sprießen sie auf der darauf folgenden Seite fast ganz von selbst. "Der Faultierwald ist zu neuem Leben erwacht. Und das Faultier – siehst du es? – schaukelt sanft in einer Baumkrone." (2) Mit dem Umblättern der letzten Seite dieses Bilderbuches hat das Faultier seinen davor von Rodungen völlig zerstörten Wald zurückbekommen. Mussten die LeserInnen zuvor beim Blättern jeder einzelnen Seite wiederholt befürchten, an den zerstörerischen Entwicklungen im Faultierwald selbst aktiv beteiligt zu sein, so lässt die letzte Seite aufatmen und auf weiteres Wachstum hoffen. Philippe Ug nutzt die Wirkung der Pop-up-Elemente auf ähnliche Weise. In "Komischer Vogel" wird ebenso Entwicklung, bzw. die daraus resultierende Bewegung dargestellt. Abends kehren die frisch geschlüpften Papiervogelkinder auf den elterlichen Baum zurück, welcher den LeserInnen im Dämmerlicht entgegenwächst.

 

Aktives Wachstum

Diese spezifische Möglichkeit, Wachstum aktiv mittels Papierelementen darzustellen, macht sich auch der Illustrator Arno zu nutzen. "Ein Tiger in meinem Garten" ist ein "Pop-up-Buch zum Selbermachen". Mittels herauslösbaren Elementen und Schritt-für-Schritt-Anleitungen können jene Gärten selbst zusammengebaut und -geklebt werden, die schlussendlich einer ebenso haptischen, papierenen Tigerfigur als Handlungs- und Spielraum dienen.(3) Die Designerin Jekaterina Testina-Lapschina spricht von einer Körperlichkeit, die durch Pop-up-Bücher forciert wird. "Das Buch entwickelt beim Kind das Verständnis dafür, dass alles um uns herum physische Eigenschaften hat" (4). Antje von Stemm verdeutlicht diese dem Objekt Buch grundsätzlich eigene Gegenständlichkeit, indem sie dessen Entstehung schrittweise in Form eines Pop-up-Buches zum Selberbasteln erfahrbar macht. Während bei Arno vorgestanzte Pop-up-Elemente einfach herausgelöst werden können, greifen die RezipientInnen in „Die Pop-up-Girls“ selbst zur Papierschere und werden damit zu RetterInnen einer bislang völlig gelangweilten Figur. "Aus lauter Langeweile habe ich heute versucht, die Schere zu überreden, mich freizuschneiden: Ich habe ihr in den schillerndsten Farben ausgemalt, was für fantastische Abenteuer wir gemeinsam erleben könnten." (5) Hier wird auf beiden Ebenen weiter erzählt: Fräulein Pop berichtet aus der Ich-Perspektive einen fiktiven Handlungsverlauf, während sachliche Anleitungen den haptischen Entstehungsprozess der Geschichte voranbringen und damit die LeserInnen sowohl selbst die Entwicklung eines Pop-ups erfahren als auch hinterfragen können. Denn schon nach den ersten, selbst geschnittenen und geklebten Seiten wird die Komplexität dieses zeitaufwändigen Prozesses deutlich. Wenig verwunderlich, dass es für die professionelle Entwicklung eines Pop-up-Buches eigens damit beschäftigte ExpertInnen braucht: "Pop-up-Bücher werden von Menschen entworfen, die von Beruf ‚Paper Engineer‘ sind, oder anders gesagt: Ingenieure für Papierkonstruktionen. Diese Ingenieure müssen den besonderen Umgang mit Papier beherrschen." (6) Einer der weltweit bekanntesten Menschen, der die Besonderheiten des Werkstoffes Papier bis in das kleinste Detail überblickt, ist der amerikanische Künstler David A. Carter.

 

Paper Engineering

Carter arbeitet bevorzugt mit geometrischen Formen, in deren starre Grundstruktur er mittels Pop-up-Techniken Bewegung bringt. Seinen Bilderbuchsseiten entspringen opulente Konstruktionen: farbenkräftige Objekte, die Blickfang und Spielaufforderung zugleich sind. "Durch Blättern, Klappen und Bewegen sind 53 Punkt‘ zugegen."(7) – In "600 schwarze Punkte" ist jede Seite eine kleine (oder größere) Herausforderung. (Je nach individuellen Kenntnissen in Logik, Kombinationsfähigkeit und dem Zählen im Zahlenraum bis 600.) Wie für das Pop-up-Buch charakteristisch, können auch bei David A. Carter einzelne Elemente mittels Papierlaschen bewegt werden. So entstehen Spielbilderbücher, deren Szenen sich erst mittels der, von den LeserInnen in Gang gesetzten, Bewegung entwickeln. Wie in allen Pop-up-Büchern sind auch David A. Carters Illustrationen bewegte Bilder, sie kommen den LeserInnen entgegen, faszinieren durch ihre Haptik und überraschen durch dreidimensionale Effekte, indem sie sich in einen – üblicher Weise – leer stehenden Raum hinein ent-falten.

 

Anmerkungen

(1) Philippe Ug: Komischer Vogel. Prestel 2012. Ohne Paginierung.

(2) Anouck Boisrobert/Luis Rigaud: Das Faultier im Pop-up-Wald. Jacoby & Stuart 2011. Ohne Paginierung.

(3) Arno: Ein Tiger in meinem Garten. Das Pop-up-Buch zum Selbermachen. Prestel 2014.

(4) Maria Polyak: Popup-Bücher lassen uns unverändert staunen. Interview mit Jekaterina Testina-Lapschina. Online-Magazin Goethe-Institut Russland 2012.

(5) Antje von Stemm: Die Pop-up-Girls. Abenteuer im Papierland. Ein Pop-up-Buch zum Selberbasteln. Gerstenberg 2009. Ohne Paginierung.

(6) Maria Polyak: Popup-Bücher lassen uns unverändert staunen. Interview mit Jekaterina Testina-Lapschina.

(7) David A. Carter: 600 schwarze Punkte. 2. Aufl. Boje 2008. Ohne Paginierung.

 

Literatur

  • Veronika Kyral: Ziehen, hebeln, klappen, aufstellen, drehen, … Vom Anfang des Pop-ups bis zum heutigen Paper Engineering. In: 1000 und 1 Buch 4/2010. S. 36 - 40.

Pop-up-Bücher eröffnen eine plastische, dreidimensionale Ebene. Ihre Illustrationen füllen den ansonsten leer bleibenden Raum zwischen Buchseiten und LeserInnen, sie kommen den BetrachterInnen entgegen.

AutorIn: 
Andrea Kromoser

Das Schriftstellerinnenleben kann so schön sein im Monat Mai – vor allem wenn die Temperaturen es endlich erlauben, mit Kolleginnen oder Kollegen zu Mittag im Schanigarten ein Clubsandwich zu teilen, oder man über angeregten Gesprächen bei Spaziergängen durch die Innenstadt die Eiswaffel in der Hand vergisst und die sich durch unerwartet schnelles Schmelzen wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit drängen muss.

 

Cornelia Travnicek wurde1987 geboren, studierte an der Universität Wien Sinologie und Informatik. Vielfach ausgezeichnet,  u. a. mit dem Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich für "Chucks" (DVA 2012). 2012 erhielt sie den Publikumspreis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt für einen Auszug aus ihrem im Herbst 2015 bei der DVA erscheinenden Roman "Junge Hunde".

Beschreibung: 

In Zusammenarbeit von Bibliothek, Gemeinde und Volkssschule erhalten die "Taferlklassler" statt der (gar nicht) herkömmlichen Schultüte eine Büchertasche mit einem Buch, einem Leseführerschein und Bibliotheks-Infofolder.

Bibliothek: 
Bibliothek Lockenhaus
Beitrag von: 
Gertraud Horvath
Zielgruppe: 
Anzahl der TeilnehmerInnen: 
Alle "Tafelklassler", ca. 20
Material und Rahmenbedingungen: 
  • Büchertaschen vom Bibliothekswerk
  • Bücher für ErstleserInnen in Absprache mit der Lehrperson (entweder einheitlich als Klassenlesestoff oder individuell mit Anregung zum Tauschen und Borgen)
  • Leseführerschein von der Bibliothek erstellt
  • Infofolder mit Öffnungszeiten etc.
  • Kleine Geschenke (Stift, Block,etc.)
  • Auch ein Stück Naschzeug darf dabei sein.

Überreichung am ersten Schultag direkt in der Schule durch VertreterInnen der Bibliothek und der Gemeinde. Dazu Medien einladen und Fototermin organisieren.

Vorbereitung: 

Kontakt Bibliothek - Gemeinde - Schule über Finanzierung, Schülerzahl und Buchauswahl.

Anmerkungen: 

Kommt sehr gut an. Wird zur Dauereinrichtung.

Der ethisch-moralische Bogen reicht von Psychologie und der Anleitung zur Lebenskunst über Kindererziehung bis zur außerfamiliären Erziehung in Schulen und deren Evaluierung. Und weit darüber hinaus, bis zu digitalen Lebenswelten inklusive der Ambivalenz von Privatheit, Intimität und Überwachung und weiteren kontroversen Themen wie medizinischer Lebensverlängerung und Sterbehilfe. 

 

Lebenskunst, Erziehung, Schule

Der Bereich der "Lebenskunst" weist mit Richard David Precht, Stefan Klein und Wilhelm Schmid drei der derzeit erfolgreichsten Sachbuchautoren deutscher Sprache auf. Neue Publikationen belegen mit großer Regelmäßigkeit vordere Plätze auf den Bestsellerlisten. Nahezu im Alleingang hat der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid, inzwischen ein sehr gefragter Keynote-Speaker und Seminarleiter, in den letzten zwanzig Jahren seit seinem Buch "Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst" die Lebenskunst als Genre erschaffen. Sie basiert auf einer Mischung von antiker und neuzeitlicher Philosophie unter starker Beachtung der Lebenswelt, mit der in Harmonie und frei von Stress ein glückliches Leben zu gestalten sei.(1)

 

Sinn, Lebenskunst und die Versöhnung mit sich selber stehen auch im Zentrum des Denkens von Richard David Precht und Stefan Klein, der sich auf den Bereich des Glückes und der Glücksökologie konzentriert.

 

Ein damit inzwischen eng verwandter Bereich stellt die wachsende Literatur über Burn-Out, Neue Askese, Lebensumstellung und Entschleunigung dar. Ihren Ahnherrn besitzen diese Publikationen im Amerikaner Henry David Thoreau (1817-1862), der in Schriften wie "Walden" für einen Rückzug zu sich selbst und damit einhergehend für eine innere Neubesinnung auf Intensität und das bewusste Auskosten des gelebten Augenblicks plädierte.

 

Klarheit, Ruhe, Freude am Wesentlichen und die Befreiung von als falsch identifizierten Zielen und die Emanzipation von materiellen Statussymbolen steht im Zentrum dieses Konzepts, für das der englische Begriff des "Downshifting" publizistisch wie psychologisch bereits weitere Verbreitung gefunden hat.(2)

 

Im Bereich der Kindererziehung und Kinderpädagogik haben in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum die Bücher des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul großen Erfolg erfahren. Sein Eltern-Kind-Konzept kreist um die Pole Integrität, Imitation und Stärkung des kindlichen Selbstbildes. 

 

Digitales, Privates, Überwachung

Eine starke Aufmerksamkeit hat infolge der Veröffentlichungen des Whistleblowers und vormaligen Mitarbeiters der National Security Agency (NSA) Edward Snowden die digitalen Lebenswelten erfahren. 

 

Snowdens publizistischer Kontaktmann, der Engländer Glenn Greenwald, hat nach einer Reihe "leaks" von Geheimdokumenten, die weltweit für Furore sorgten, ein Aufsehen erregendes Buch über die Spionagetätigkeiten der US-Geheimdienste vorgelegt, das den Bereich von Privatheit und Kommunikationsüberwachung, von Durchleuchtung, Intimität und kritischer Öffentlichkeit ins Licht der Öffentlichkeit gerückt hat.(3) 

 

Auf andere, zumeist erhellende und aufklärerische Art und Weise haben sich Autorinnen wie Kathrin Passig und Mercedes Bunz und Netz-Analytiker wie Sascha Lobo, Nicholas Carr oder Eli Pariser mit Wesen, Kern und Möglichkeiten wie mit den Zukunftsaussichten des Internets auseinander gesetzt – über traditionelle ideologische Grenzziehungen hinweg.(4) 

 

Was etwa dazu führte, dass der 2014 überraschend verstorbene deutsche Feuilletonist und Herausgeber der konservativen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Frank Schirrmacher in seinem Buch "Ego" eine sozialrevolutionäre Position einnahm und von einer sich selber beschleunigenden und gefühlskalten Ökonomisierung durch die Neuen Medien schrieb: "Wir erleben die neue Ära des Informationskapitalismus. Er hat damit begonnen, die Welt in einen Geisteszustand zu verwandeln. Er tut und plant große Dinge. Er will Gedanken lesen, kontrollieren und verkaufen." Und weiter: "Verhalten, für das es ,keine Gründe’ gibt, kennt der Informationskapitalismus nicht. Auch Freundschaft, Loyalität, Liebe haben in seinen Augen rationale Gründe, die im eigennützigen Interesse des Einzelnen liegen."(5) 

 

Manfred Spitzer, Professor für Psychiatrie in Ulm, hat angesichts des fundamentalen Wandels der Jugendkultur beide Bereiche zusammengeführt und mit Erkenntnissen der Hirnforschung kurzgeschlossen. Mit großem Echo in den Medien wie bei den Verkaufszahlen hat er dem Phänomen einer "digitalen Demenz" das Wort geredet.(6) 

 

Generationen, Alter, Sterbehilfe

Auch über einen fortschreitenden Klimawandel, über Renten- und Generationengerechtigkeit wie auch über das Phänomen einer alternden, allerdings nur in Maßen alters- oder behindertengerechten Gesellschaft wird aus unterschiedlicher Perspektive und aus unterschiedlichen Blickwinkeln, vom Betroffenen bis zum "Wutbürger", räsoniert.(7) 

 

Noch umstrittenere Themen, die en vogue sind und in der öffentlichen Diskussion noch kaum Zeit hatten, Spuren zu hinterlassen, welche mit Distanz und Kühle in Augenschein genommen werden können, finden ihren Weg zwischen Sachbuchdeckel. 

 

Etwa das Thema von medizinischer Lebensverlängerung und Sterbehilfe. Letztere wird in manchen europäischen Ländern mittlerweile auf parlamentarischem Niveau unter Beiziehung zahlreicher VertreterInnen aus Religion, Philosophie, Ethik und Gesellschaft diskutiert. 

 

Wie auch die anderen Debatten-Themen liefern Bücher über diese teils laufenden, teils frisch angestoßenen Felder reichlich Argumentationsmaterial über das grundlegende und grundlegend erwünschte, vorgestellte oder noch zu erarbeitende Wesen, über das Selbstbild und die Selbstdefinition einer Gesellschaft.

 

Anmerkungen:

(1) Wilhelm Schmid: Dem Leben Sinn geben. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt, Berlin 2013

(2) Helena Horn: Wie Mondrian Ihr Leben verändern kann. Downshifting – die neue Einfachheit, Weinheim 2014; Sabine Asgodom: 12 Schlüssel zur Gelassenheit, München 2008; Halko Weiss u.a.: Das Achtsamkeits-Buch, Stuttgart 6. Aufl. 2012

(3) Glenn Greenwald: Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen, München 2014

(4) Kathrin Passig und Sascha Lobo: Internet – Segen oder Fluch, Berlin 2012; Mercedes Bunz: Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen, Berlin 2. Aufl. 2012; Eli Pariser: Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden, München 2012

(5) Frank Schirrmacher: Ego. Das Spiel des Lebens, München 2013, S. 10

(6) Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, München 2012

(7) So zum Beispiel: Sven Kuntze: Die schamlose Generation. Wie wir die Zukunft unserer Kinder und Enkel ruinieren, München 2014

Gesellschaftlich brisante Debatten dominieren nicht nur die Agenden und Diskussionsseiten der nationalen und internationalen Presseerzeugnisse von seriösen Wochenzeitungen über bunte Illustrierte bis zu von Einzelpersonen betriebenen Blogs. Sie stellen auch einen zentralen Bereich des Sachbuchsektors dar.

AutorIn: 
Alexander Kluy
Thema des Monats Teaser: 

Gesellschaftlich brisante Debatten dominieren nicht nur die Agenden und Diskussionsseiten der nationalen und internationalen Presseerzeugnisse. Sie stellen auch einen zentralen Bereich des Sachbuchsektors dar.

Von einem Kleiderbügel baumeln alte Haustürschlüsseln, Perlen und ein Tannenzapfen schmücken dieses Objekt. Trixi Schneefuß ermutigt dazu, dem „Wind ein eigenes Instrument zu bauen“(1). Ihr „Klimperspiel“ ist eine Aufforderung zum Experimentieren, Ausprobieren und Gestalten. Dabei entstehen vielfaltige Gebilde, Deko-Objekte für Kinderzimmer, Haus und Garten. Auch Sabine Lemire fädelt gerne schöne Dinge zu kleinen Kunstwerken. „Bohre mit der Ahle vorsichtig Löcher in die Muschelschalen. Binde die Muschelschalen und Perlen dann in kleinen Abständen an einer Schnur fest.“(2), so formuliert sie die Fertigungsschritte zur „Strandgirlande“. Die beiden soeben zitierten Kinder- bzw. Familienbastelbücher „Lauter Lieblingsstücke“ sowie „365 Basteltage“ bieten ästhetisch sehr ansprechende Bastelprojekte. Dabei greifen beide Autorinnen auf unterschiedlichste Techniken, Materialien und Trends zurück, oft werden dabei bereits weggeworfenen Dingen oder Flohmarktfunden neue Bestimmungen gegeben.

 

Wiederverwenden

Auch Claudia Scholl widmet sich dem Upcycling-Gedanken. In „Pappenheim“ werden Seite für Seite kleine und größere Projekte rund um Altpapier, Schachteln und Verpackungen vorgestellt. Dabei kann ein Obstkarton zum Kleiderschrank werden, die Designerstücke darin entstehen aus Tortenspitzen und Butterpapier.(3) Schicke, schöne Papierkleider – ein Must-Have für jedes Kinderzimmer, möchte man meinen! Familie Maus hingegen würde sich damit mitnichten begnügen. In Ute und Tilman Michalskis „Werkbuch Papier“ wird eine Schachtel-Mäusewohnung gebaut. Mehrere Stockwerke und Mäuse-Badewanne inklusive!(4) In diesem einerseits sehr phantasievollen und andererseits solide gestalteten Werkbuch werden neue Ideen mit altbewährten Techniken verbunden. Beispielsweise wird hier auf wertvolle Anleitungen wie jene zur Herstellung von Kleisterpapier oder die Faltanleitung für Windräder zurückgegriffen. Claudia Scholl agiert hingegen weitaus experimenteller. In „Pappenheim“ werden Papierschnipsel in Marmeladengläser gefüllt und kurzerhand zu Kunst erklärt.

 

Weiterzeichnen

Herr Kritzl und Frau Klecks sind selbst pure Illustrationskunst, entstammen sie doch niemandem geringeren als dem Minenstift Verena Ballhaus und dem Borstenpinsel Renate Habingers. „Kritzl & Klecks. Eine Entdeckungsreise ins Land des Zeichnen & Malens“ erzählt von der Einladung des einen an die andere: „Dann gehen Herr Kritzl und Frau Klecks miteinander spazieren.“(5) Während die beiden Figuren gehen, essen und schlafen, werden auf den aufklappbaren Innenseiten ihrer Geschichte unterschiedlichste, künstlerische Mal- und Zeichentechniken gezeigt. Diese laden zum selber Ausprobieren aber auch zum Verstehen des Entstehungsprozesses des gesamten Sachbilderbuches ein. In „Drucken und Stempeln“ von Annika Oyrabø hingegen liegt der Fokus ausschließlich auf der Darstellung vielfältiger Druck- und Stempeltechniken, welche in Schritt-für-Schritt-Anleitungen erläutert werden. Die Autorin realisiert einfache Projekte mit großer Wirkung. Sie gestaltet Jutetaschen per Schablonendruck, stempelt Unterwasserwelten auf Trinkgläser oder Geschenkpapiere aus mit Zwiebeldruck verschönertem Zeitungspapier.(6) Mit teilweise identen Druckmaterialen arbeitet auch Julia Kaergel in „Druck mal! Finger-, Obst-, Kartoffelkunst“. Hier darf jedoch gleich selbst nach Herzenslust in das Buch gekleckst, gedruckt und gestempelt werden. Die Künstlerin hat ein Experimentier- und Malbuch der besonderen Art zusammengestellt. Halb leere Seiten warten darauf, vollgestempelt zu werden, kurze Sätze provozieren eigene Phantasiegeschichten, die sofort per Fingerabdruck zu Papier gebracht werden können, dazwischen werden Stempeltechniken erklärt und vorgezeigt.(7) Damit verfolgt „Druck mal!“ ein sehr ähnliches Konzept wie die im Bereich der Weitermalbücher längst etablierten „Kinder Künstler Kritzelbücher“ aus dem „Labor Ateliergemeinschaft“. Ein Highlight aus dieser Reihe ist „Mein Kinder Künstler Freundbuch“, im Format eines klassischen Stammbuches bietet es einerseits die bewährten, vorgedruckten Seiten, auf welche jedes Kind in Stichworten über sich erzählt, andererseits folgt hier jedoch jedem fertig ausgefüllten Steckbrief ein Wegweiser durch die von allen gemeinsam zu gestaltenden Seiten dieses Kreativ-Freundebuches. Wie beispielsweise die mit der folgenden Aussage betitelte Doppelseite: „Hurra, wir ziehen zusammen! Zeichne deinen Lieblingsplatz in unserer superduper Chaos-WG“(8). Eine weitere, ebenso sehr gelungene Variante dieses Malbbuchtrends ist das „Krickel-Krakelbuch. Bilder zum Weitermalen“. Jede Doppelseite wird hier zum Malanlass, ist eine Aufforderung zum Zeichnen, Malen, Phantasieren. „Von was träumen der König und sein Pferd? Was gibt’s im Wolkenkino zu sehen? Wer kommt noch zur Monster-Party?“(9), um nur einige der anregenden und neugierig machenden Bildüberschriften zu nennen.

 

Die neue Generation jener Bücher und Hefte, welche im vergangenen Jahrtausend noch schlichtweg als „Malbücher“ bezeichnet wurden, hat den Bereich der Kreativ- und Mitmachbücher für sich erobert. Gerade weil sich etablierte IllustratorInnen dieses Themas angenommen haben, wird heute – wo es früher galt, streng gezogene Linie niemals zu übermalen – gekritzelt, gekleckst und experimentiert! Diese ästhetische Form von Freiheit kann auch in vielen, neuen Bastelbüchern beobachtet werden. Der Trend zu auf den ersten Blick unordentlich wirkender Ästhetik und der Wiederverwertung ohne bzw. mit sehr geringen Kosten erworbenen Materialien ist damit dort angekommen, wo er sich am allerwohlsten zu fühlen scheint: in Familienräumen, den Räumen, in denen Kinder wohnen, die Kinder aktiv mitgestalten. Und wo sonst wären außergewöhnlich kreative Bastelideen besser aufgehoben?

 

Anmerkungen:


(1) Trixi Schneefuß: Lauter Lieblingsstücke. Schöne Sachen selber machen. Oetinger 2014. S. 8 - 9.

(2) Sabine Lemire: 365 Basteltage. Einfache und kreative Ideen zum Selbermachen. Aus dem Dän. v. Eva Eckinger. Arena 2014. S. 237.

(3) Vgl.: Claudia Scholl: Pappenheim. Recyclingideen fürs Kinderzimmer aus Karton, Pappe und Papier. Haupt 2012. S. 31, 50.

(4) Vgl.: Ute Michalski/Tilman Michalski: Das Ravensburger Werkbuch Papier. Ravensburger 2015. S. 34 - 35.

(5) Renate Habinger/Verena Ballhaus. Kritzl & Klecks. Eine Entdeckungsreise ins Land das Zeichnen & Malens. Nilpferd in Residenz 2014. Ohne Paginierung.

(6) Annika Oyrabøs: Drucken und Stempeln. Beltz & Gelberg 2015. S. 13 - 15, S. 52 - 53.

(7) Vgl.: Julia Kargel: Druck mal! Finger-, Obst-, Kartoffeldruck. Prestel 2013.

(8) Labor Ateliergemeinschaft: Mein Kinder Künstler Freundebuch. Beltz & Gelberg 2012. S. 22 - 23.

(9) Die Krickel-Krakels: Krickel-Krakelbuch. Bilder zum Weitermalen. Oetinger 2008. Ohne Paginierung.

Selbstgemachtes ist in aller Munde. Auch Bastel- und Kreativbücher für Kinder greifen Upcycling- sowie Do-It-Yourself-Trends auf und erweitern sie durch leicht verständliche Anleitungen und Anwendungsbereiche im Familienleben.

AutorIn: 
Andrea Kromoser
Thema des Monats Teaser: 

Selbstgemachtes ist in aller Munde. Auch Bastel- und Kreativbücher für Kinder greifen Upcycling- sowie Do-It-Yourself-Trends auf und erweitern sie durch leicht verständliche Anleitungen und Anwendungsbereiche im Familienleben.

Derzeit, ein Buch gerade draußen, eine Eröffnungsrede zum Thema Kapital Macht Geschlecht fertiggestellt, stehe ich vor der Frage: Wie mache ich aus dem angesammelten Material zur Finanzwirtschaft – leider nur sehr theoretisch angesammelt, da ich ein Gedächtnis habe wie ein Sieb – einen Text? Welcher Zugang ist sinnvoll? Ist ein fiktionaler, erzählender Text in Romanform daraus überhaupt zu destillieren, und wenn, warum eigentlich?

Olga Flor  wurde 1968 in Wien geboren, aufgewachsen in Wien, Köln und Graz, lebt in Graz. Sie studierte Physik und arbeitete im Multimedia-Bereich. Seit 2004 freie Schriftstellerin. Romane, Kurzprosa, Essays, Theater- und Musiktheaterarbeiten. Auswahl Auszeichnungen: Outstanding Artist Award 2012. Anton-Wildgans-Preis 2012. Veza-Canetti-Preis 2014. Aktueller Roman: "Ich in Gelb", Jung und Jung 2015.

www.olgaflor.at

Einer Frau vor mir an der Supermarktkassa fällt der Schlüssel runter. Dann die Geldbörse. Und auch noch ein Joghurt …"Es gibt so Tage, da fällt mir alles aus der Hand", sagt die Frau mit einem tiefer Seufzer. "Es gibt so Tage …" Ich notiere diesen Satz zu Hause auf einem Zettel. Der Satz klingt nach.

 

Welche Tage könnte es geben? Welche Tage wären spannend, vielleicht auch lustig für Kinder? Ich stelle mir ein Mädchen vor, das sich Tage ausdenkt.

 

Tage, an denen alle eine Kirsche auf dem Kopf haben. (Ich hatte gerade Kirschen gekauft.)

Tage, an denen alle Schatten bunte Farben haben. (Ich habe mich als Kind immer geärgert, dass ich immer einen schwarzen Schatten hatte, auch wenn ich mit einem roten T-Shirt auf die Straße lief.)

Tage, an denen sich alle küssen. (Im Supermarkt war mir ein verliebtes Pärchen aufgefallen, das sich intensiv geküsst hatte.)

Tage, an denen alle in den Himmel schauen. (Ich habe als Kind gern Wolken-Kino gespielt. Man schaut in die Wolken und erfindet kleine Gedichte und Geschichten im Kopf: Der Wolkenfloh muss aufs Klo. Der Wolkenhund ist kugelrund ...)

 

Es gibt so Tage, da wird einem eine Idee geschenkt. Man schreibt einen Text und geht damit zu einem Verlag.

 

Das Manuskript allein schaut noch nicht überzeugend aus. Jede Zeile beginnt gleich. Ob das genug ist? Ich zeige den Text der Illustratorin Helga Bansch. Die Idee gefällt ihr. Sie malt das Bild mit den Kirschen und mit den bunten Schatten. Jetzt kommt beim Verlag Freude auf. Das wird was! Das Mädchen soll immer im Bild sein, auch ihr Freund, der Stoffhase, und es braucht einen guten Schluss.

 

Ich schreibe: "Es gibt so Tage, da bleibt Merike einfach im Bett und denkt sich Geschichten aus." Das Buch soll eine Einladung werden, sich selbst Tage und Geschichten auszudenken. Das Buch erscheint im Verlag Jungbrunnen in Wien - und es wird ganz wunderbar aufgenommen. Bald gibt es Übersetzungen in andere Sprachen, es kommen neue Auflagen. Die einfache Idee funktioniert.

 

 

Ein Turnlehrer arbeitet mit dem Buch im Turnsaal: Es gibt so Tage, da geht man auf Zehenspitzen oder man macht weite Sprünge oder man geht rückwärts. Eine Musiklehrerein erfindet einen Tag, an dem man genau hinhören muss. Ein Kind schließt die Augen und die anderen Kinder machen Geräusche. Was hörst du? Was ist das? Da wird mit einem Strohhalm in Wasser geblasen, da knistert Seidenpapier, da klirrt ein Schlüsselbund. In Schulen entstehen Fortsetzungsbücher dazu, mit neuen erfundenen Tagen von Kindern und mit Texten in allen Sprachen, die in der Klasse vertreten sind.

 

Es gibt so Tage, da wird aus einer einfachen Idee ein Buch, das viele erreicht.

 

Literatur:

 
Heinz Janisch/Helga Bansch: Es gibt so Tage. Wien: Jungbrunnen 2001. ISBN 3-7026-5734-7
 

Autor Heinz Janisch gibt Einblick in die Entstehung seines Bilderbuches "Es gibt so Tage": von der ersten Idee über die Zusammenarbeit mit der Illustratorin bis hin zur Rezeption durch die LeserInnen.

AutorIn: 
Heinz Janisch
Thema des Monats Teaser: 

Autor Heinz Janisch gibt Einblick in die Entstehung seines Bilderbuches "Es gibt so Tage": von der ersten Idee über die Zusammenarbeit mit der Illustratorin bis hin zur Rezeption durch die LeserInnen.

Beschreibung: 

Das im Ökotopia Verlag erschienene Buch "Waldfühlungen" diente mir als Vorlage für eine Abenteuerlesung im Wald. Mein Konzept war zugeschnitten auf eine 3. Klasse Volksschule, grundsätzlich ist die Aktion aber Dank der breitgefächerten Themen und Spielideen aus dem Buch mit verschiedensten Altersgruppen durchführbar.

 

Als Einleitung habe ich den Kindern erklärt, dass wir heute die Bäume besuchen, um ihr Leben und ihre Geschichten kennenzulernen. Anhand eines Tannenzapfens konnten die Kinder erraten, zu welchem Baum wir zuerst wandern werden. Bei der Tanne angekommen haben wir über die Merkmale gesprochen und den Baum "gefühlt" (durch Umarmung oder Berührung der Rinde/Nadeln), anschließend wurde anhand des Geburtsdatums und der keltischen Baummythologie geschaut, ob eines der Kinder im Baumkreis der Tanne geboren war. Die mitgebrachten Picknickdecken wurden ausgebreitet und die dazupassende Geschichte aus dem Buch vorgelesen und ein süßer Tannensirup wurde verkostet.

 

Nun wurde geraten wo es weiter ging, ein kleines Ahornblatt, das ich zuvor an die Tanne gehängt hatte, war der Hinweis. Beim Ahornbaum erfolgte derselbe Ablauf wie vorhin, nur mit dem Unterschied, dass wir zusätzlich zur Geschichte ein Geigenspiel hörten (Ahornholz) und Ahornsirup verkostet wurde.

 

Unsere letzte Station war eine Lichtung, wo wir ein kleines Picknick mit den Eltern organisiert hatten.

 

Bei einer runde Wald-Domino (Buch Seite 36) ließen wir den Vormittag ausklingen.

Bibliothek: 
Öffentliche Pfarr und Gemeindebibliothek Terfens
Beitrag von: 
Susanne Parzer
Zeitdauer: 
2 bis 4 Stunden
Material und Rahmenbedingungen: 

Ein ungefährliches Waldgebiet oder ein Park mit Bäumen

Vorbereitung: 
  • Geeignete Bäume und die Route auswählen
  • Abgehen der Strecke, damit die Zeitplanung klappt
  • Kleine Hinweise auf den gewählten Baum sammeln (Blätter, Früchte, Nadeln, etc.)
  • Lebensmittel für Verkostung und Gegenstände aus dem Alltag besorgen, die in einem Zusammenhang mit dem Baum stehen
  • Organisation eines Picknicks (Zusammenarbeit mit Eltern oder Elternvereinen)
Idee nach: 

Einige Ideen und Geschichten aus dem Buch "Waldfühlungen" von Antje und Burkhard Neumann, Ökotopia Verlag
ISBN:9783931902421

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