Kinder lauschen in voller Aufmerksamkeit einer Geschichtenerzählerin: Sie haben den Mund geöffnet und befinden sich wie in einer eigenen Welt, während sie zuhören. Sie tauchen mit allen Sinnen in das Geschehen ein, das mit Stimme und körperlicher Präsenz vor ihnen ausgebreitet wird. Später können sie Dialogszenen oder einen Spruch aus dem Märchen wiedergeben und werden eine bildhafte Erinnerung haben. Erzähltes kann uns im Innersten berühren und Zuhören bietet in unserer reizüberfluteten Zeit die Chance, Konzentration einzuüben und unser eigenes Leben als Geschichte zu verstehen.

 

Es war einmal

Erzählen ist eine uralte Kulturtechnik. Es fällt nicht schwer, sich unsere Vorfahren am Feuer sitzend vorzustellen, wie sie einander erzählen – von den Taten ihrer Vorfahren, von den Geschehnissen des Tages, von den Veränderungen, die ihnen bevorstehen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treffen sich in der mündlichen Weitergabe. Zugleich ist dieses einander Zuhören und selbst etwas zu sagen zu haben ein soziales Ereignis. Bis heute verständigen sich Menschen über Geschichten, weil sie die Möglichkeit bieten, Emotionen Raum zu geben.

 

Was uns aufgrund eines starken Gefühls wichtig geworden ist, tragen wir weiter – das muss nicht immer schön oder angenehm sein, denn auch Trauer und Wut gehören zu unserer emotionalen Grundausstattung. Und vermittelt wird mehr als nur das Gesagte. Tiefenpsychologische Deutungen von Volksmärchen zeigen Zusammenhänge auf, an die wir im Moment des Zuhörens nicht denken würden. Das war vielleicht mit ein Grund, warum viele Eltern damit aufgehört haben, die „grausamen Märchen“ mündlich weiter zu geben. Heute ist das Märchenerzählen in Österreich als immaterielles Kulturerbe anerkannt. (1) Professionelle Erzählerinnen und Erzähler schöpfen aber überwiegend aus schriftlichen Quellen und Erzählen ist zu etwas Seltenem und Kostbaren geworden.

 

Hier gibt es was zu erleben

Die Kindheit ist eine Zeit des magischen Erlebens. Vieles im täglichen Leben bleibt unverständlich und Geschichten voller Zauber, Verwandlung und Erlösung liefern Vorbilder, die dazu einladen, sich auf Gefahren einzulassen. Die Königstochter will die Spindel berühren, Aschenputtel auf den Ball gehen und Hänsel und Gretel möchten vom Knusperhaus naschen. Eine gute Geschichtenerzählerin nimmt uns mit in das Geschehen, führt uns mitten hinein in den Turm, in den finsteren Wald, ins Königsschloss – und führt uns wieder heraus, bis „alle Sorge ein Ende hat“, wie es in Grimms „Hänsel und Gretel“ heißt. Dieses Erlebnis ist für alle Beteiligten mit einer besonderen Sprache verbunden und die Struktur der Geschichten ist immer wieder ähnlich, so dass wir von Beginn an Muster verfolgen können, die zum guten Ende führen – eine Fähigkeit, die beim Lesen erneut Anwendung finden wird.

 

Idealerweise bekommen Kinder von Eltern oder Großeltern erzählt – als Ritual zu wiederkehrenden Gelegenheiten, vor dem Einschlafen etwa. Die Realität der meisten Kinder sieht heute anders aus. Viele erleben Abenteuer in erster Linie in den virtuellen Räumen, die von der Unterhaltungsindustrie hervorgebracht werden.

 

Bibliotheken, die Eltern mit allen erdenklichen Kindermedien versorgen wollen, können mit regelmäßigen Geschichtenzeiten, die von Erzählerinnen und Erzählern gestaltet werden, dem wachsenden Interesse an der Erzählkultur Rechnung tragen. Die dabei erlebten (oder ähnliche) Geschichten können als Buch oder Hörbuch mit nach Hause genommen werden und so die Basis für Lesebegeisterung legen.

 

Alle mal herhören!

Das zwischenmenschliche Ereignis des Erzählens kann in einem Hörbuch nicht reproduziert werden, aber es soll nicht wenige Eltern geben, die Rufus Beck schon als Teil der Familie ansahen, während er über Tage und Wochen verteilt aus dem CD-Player Harry Potter vorlas oder, besser gesagt, die Welt der Zauberschule Hogwarts durch die Magie seiner Stimme entstehen ließ.

 

Immerhin hat der Boom des Hörbuchs klar gemacht, dass Zuhören eine besondere Qualität hat. Wenn Eltern und Kinder gemeinsam zuhören, ist auch zu erwarten, dass beide wie von selbst zu erzählen beginnen, denn das eine kommt ohne das andere nicht aus.

 

Erzählen und Lernen – Erzählen lernen!

In den letzten Jahren sind zahlreiche Handreichungen über das Erzählen in Buchform erschienen – von der Geschichtenwerkstatt bis zum heilenden Märchen gibt es ein breites Spektrum an Zugängen. Auch Workshops und Ausbildungen für unterschiedliche Zielgruppen werden immer zahlreicher. Die meisten dieser Angebote richten sich an Pädagoginnen und Pädagogen. Das ist nicht verwunderlich, denn sie verbringen heute die meiste aktive Zeit mit Kindern und Erzählen eignet sich hervorragend dazu, wichtige soziale und vor allem Sprachkompetenzen zu fördern.

 

Projekte in Volksschulen haben gezeigt, dass Zuhören und Nacherzählen von frei erzählten Geschichten nicht bloß den Wortschatz erhöhen, sondern auch dazu taugen, Kinder mit anderer Muttersprache emotional für die Unterrichtssprache zu interessieren und Kinder aus bildungsfernem Elternhaus für Geschichten und Bücher zu öffnen. (2)

 

In der Erwachsenenbildung ist der englische Begriff „storytelling“ hochaktuell: Alles, was uns interessieren soll, kann in Geschichten verpackt werden – und wer zuhört, macht einen ersten Schritt in eine neue Welt.

 

Anmerkungen:

(1) Im Jahr 2010 hat die Österreichische UNESCO-Kommission auf Antrag des Märchenerzählers Helmut Wittmann das Märchenerzählen in das Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Vgl. http://unesco.scharf.net/cgi-bin/unesco/element.pl?eid=18

(2) Kristin Wardetzky/Christiane Weigel: Sprachlos? Ein Projekt zur Sprachförderung mit Migrationskindern. Vgl. http://www.erzaehlen.de/erzaehlen.de/Wardetzky_Sprachlos_files/Wardetzky_Sprachlos_1.pdf

Lange bevor wir lesen können, hören wir zu. Wir erfahren die Welt, indem wir aufnehmen, was uns erzählt wird. Und wir haben schon früh das Bedürfnis, uns selbst mitzuteilen. Heute wird Kindern immer öfter nachgesagt, dass sie nicht mehr zuhören können. Umso wichtiger ist es geworden, gute GeschichtenerzählerInnen zu erleben, damit diese grundlegende Kulturtechnik lebendig bleibt.

AutorIn: 
Josef Mitschan
Thema des Monats Teaser: 

Erzählen ist eine uralte Kulturtechnik. Kinder lieben es auch heute noch, Geschichten erzählt zu bekommen. Erzählen eignet sich hervorragend dazu, wichtige soziale und vor allem Sprachkompetenzen zu fördern.

Jugendliteratur boomt. Auf der Jahresbestsellerliste 2013 des „Spiegel“ (1) in der Kategorie Hardcover (also nicht Jugendbuch!) standen mit Kerstin Giers „Silber. Das erste Buch der Träume“ (FJB), Suzanne Collins „Die Tribute von Panem. Flammender Zorn“ (Oetinger) und John Greens „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ (Hanser) drei Jugendbücher auf den Plätzen 7 bis 9. Schon 2012 war es nicht viel anders: Die gesamte Panem-Trilogie war auf den Plätzen 1, 3 und 5 gereiht und auch John Green befand sich unter den 10 meistverkauften Büchern; was sich 2014 möglicherweise nicht ändern wird, schließlich kommt im Sommer die Verfilmung von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ in die Kinos, und im Herbst folgt Panem 3, Teil 1.

 

Jugendliteratur ist aus seiner Marktnische raus. Publikumsverlage nehmen vermehrt Jugendliteratur ins Programm, als Einzeltitel (etwa Rowohlt mit Herrndorfs „Tschick“ oder Kunstmann mit Fagans „Das Mädchen mit dem Haifischherzen“) oder mit einer Imprint-Schiene (wie „Heyne fliegt“ oder „One“, das neue All-Age-Imprint von Lübbe). Auch Bestsellerautoren schreibenJugendbücher – wie John Grisham mit der „Theodore Boone“-Serie oder David Safier mit „28 Tage lang“, im Frühjahr 2014 textgleich mit leicht unterschiedlichem Cover bei Kindler in der allgemeinen Belletristik und bei Rowohlt für Jugendliche erschienen.

 

Erwachsene lesen Jugendliteratur

Dass das nicht daran liegen kann, dass Jugendliche in den 2010er Jahren so viel mehr lesen als früher, ist den Mediennutzungsuntersuchungen abzulesen. Nein, es müssen schon auch Erwachsene sein, die Jugendliteratur lesen. Im deutschsprachigen Raum wird – zumindest zu Marketingzwecken – der Begriff „All Age“ für Texte verwendet, die auch von Erwachsenen gelesen werden. (Klaus Stimeder hat im Jänner 2014 in der Wiener Zeitung (2) geschrieben, dass in den USA 80 Prozent jener Literatur, die unter dem Label Young Adult Fiction läuft, von Erwachsenen gelesen wird.)

 

Breites Spektrum

Jugendliteratur wird in Teilen nicht nur von Erwachsenen auch gelesen, sie hat sich zudem der Erwachsenenbelletristik angenähert, in der Ausdifferenzierung und in der formalen Ausgestaltung. Natürlich gibt es immer noch die themenzentrierte Jugendliteratur („problemorientierte“ hat man sie früher genannt), die sich jener gesellschaftspolitischen Bereiche annimmt, die gerade (in den Medien) virulent sind. Auf jedes Schulmassaker folgen entsprechende jugendliterarische Titel, Magersucht taucht immer wieder auf, etwa jüngst Lara Schützsacks „Und auch so bitterkalt“, Fischer KJB 2014). Und natürlich gibt es den Adoleszenzroman, der sich mit dieser Lebensphase auf eine komplexe und ästhetisch anspruchsvolle Art auseinandersetzt, wie das etwa Nils Mohl mit seiner „Stadtrandtrilogie“ („Es war einmal Indianerland“ 2011, bzw. „Stadtrandritter“ 2014, beide Rowohlt) tut. (3)

 

Fantasy, Romantasy und Chick Lit

Daneben aber werden auch althergebrachte Genres um- und ausgebaut. Was früher das Mädchenbuch war (und noch viel früher der „Backfischroman“), gibt es heute in dieser Form immer noch (etwa Gaby Hauptmanns Pferde-Mädchen-Liebe-Klischee-Roman: „Frei wie der Wind“, Planet Girl 2014). Dominiert wird diese Sparte aber von der „Romantasy“ mit oder ohne Biss, der mit Sehnsucht nach Liebe angereicherten Variante der Fantasy, die ihre Dominanz damit in die 2010er Jahre hinein prolongieren konnte. Und von der „Chick Lit“ mit oder ohne Schokolade zum Frühstück, also einer unterhaltsamen Literatur über und für Mädchen und junge Frauen, deren Probleme vorwiegend die Kleider- und Männerwahl betreffen.

 

Future Fiction

Auch die „Future Fiction“, zu denen die Dystopien zählen, hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Oft ist es ein außerordentlich erfolgreicher Text – wie die „Panem-Trilogie“ von Suzanne Collins –, der eine ganze Welle nach sich zieht. Schließlich wollen alle Verlage an einer Konjunktur mitverdienen.

 

Spannung

Dass jene Literatur, die unter dem Label „Spannung“ zusammengefasst wird, in der allgemeinen Belletristik seit Jahren einen erheblichen Marktanteil hat (zwischen einem Viertel und einem Drittel), wird sofort anschaulich, wenn man eine Buchhandlung betritt. In den letzten Jahren wird der Trend zu diesem Segment auch in der Jugendliteratur wahrnehmbar, das Segment Krimis und Thriller mit jugendlichen Protagonisten scheint deutlich anzuwachsen.

 

Graphic Novel

Vergleichsweise neu im jugendliterarischen Bereich ist die Graphic Novel. Natürlich gab es den Comic in Album-Form immer schon, und oft waren auch Jugendliche seine HeldInnen. Aus seiner Nische allerdings tritt er erst zunehmend in den letzten Jahren. Und wird mittlerweile nicht nur vom Feuilleton, sondern nun auch von KritikerInnen und VermittlerInnen aus der jugendliterarischen Szene wahrgenommen. Seit einigen Jahren sind auf den Nominierungslisten zum Deutschen Jugendliteraturpreis, der wichtigsten Auszeichnung der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur, immer auch Graphic Novels zu finden: 2013 nominierte die Kritikerjury Reinhard Kleists „Der Boxer. Die wahre Geschichte des Hertzko Haft“ (Carlsen) in der Sparte Sachbuch, 2014 findet sich „Wie ein leeres Blatt“ von Boulet und Pénélope Bagieu (ebenfalls Carlsen) auf der Nominierungsliste der Jugendjury.

 

Von allem etwas, und von allem das Beste

Jugendliteratur hat sich – so also der gegenwärtig Befund – gut entwickelt und seinen festen Platz auf dem Markt gefunden. Das hat – für alle LeserInnen und VermittlerInnen, vor allem auch für BibliothekarInnen – zur Folge, dass aus der großen Menge an Novitäten eine gute Auswahl getroffen werden muss: von allem etwas, auf jeden Fall, aber im besten Fall aus allen Genres und Gattungen das Beste.

 

Anmerkungen:

(1) Spiegel Jahresbestseller Hardcover 2013: http://www.buchreport.de/bestseller/jahresbestseller/hardcover.htm
(2) Klaus Stimeder: Und Erwachsene ebenso. In: Wiener Zeitung, 3. Jänner 2014.
(3) Website von Nils Mohl: http://www.nilsmohl.de

Noch nie zuvor war das Angebot für jugendliche Leserinnen und Leser so umfangreich und vielfältig wie heute: Immer mehr Verlage publizieren Bücher für diese Zielgruppe in einer großen Formen- und Gattungsvielfalt.

AutorIn: 
Franz Lettner
Thema des Monats Teaser: 

Noch nie zuvor war das Angebot für jugendliche Leserinnen und Leser so umfangreich und vielfältig wie heute: Immer mehr Verlage publizieren Bücher für diese Zielgruppe in einer großen Formen- und Gattungsvielfalt.

Filme

Filme können auf besonders eindringliche Art den Blick auf andere Kulturen eröffnen – auch für Kinder und Jugendliche.

  • anderswo daheim: Die neun Kurzfilme regen dazu an, sich mit Diversität in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Sie handeln von der Begegnung mit anderen Kulturen, von Vorurteilen und deren Überwindung. Sie greifen Themen wie Nationalismus, Patriotismus und die Konstruktion von „Heimat“ auf und vermitteln einen Eindruck der Herausforderungen, mit denen Menschen in einem fremden Land konfrontiert sind. Mit Begleitmaterial.
    Filme für eine Welt (Hg.): anderswo daheim. Chancen und Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaft. DVD. Wien: BAOBAB 2013. Ab 6 J.
  • Die Kriegerin: Der Spielfilm erzählt die Geschichte von Marisa, die Teil einer Jugendclique der rechtsextremen Szene in einer ostdeutschen Kleinstadt ist. Sie schlägt zu, wenn ihr jemand nicht passt. Sie hasst AusländerInnen, PolitikerInnen und die Polizei. Als ein neues Mädchen zu ihrer Clique stößt und sie mit zwei jungen Asylwerbern aneinandergerät, ergibt sich eine Kette von Ereignissen, die ihr Leben und Weltbild verändern.
    David Wnendt (Regie): Kriegerin. DVD. Stuttgart: Ascot Elite Home Entertainment 2012. Ab 14 J.

 

Spiele

(Familien-)Spiele bieten spannende Möglichkeiten, Vielfalt als Chance zu erleben und Toleranz gegenüber dem "Fremden" zu erlernen.

  • Das Familienspiel: Anhand der 70 Bildkarten können Kinder verschiedene Familien kennenlernen. Im Vordergrund steht, dass alle Familien das gleiche Recht auf Anerkennung und Respekt haben, aber jede Familie besonders ist, was ihre Mitglieder, ihr Aussehen und ihre Lebensgewohnheiten betrifft. Das „Familienspiel“ kann als Memo-, Such- oder Sortierspiel etc. gespielt werden. Anleitung auf Deutsch, Türkisch, Englisch, Polnisch und Französisch.
    Serap Sikcan-Azun: Das Familienspiel. Kiliansroda: das netz 2010. 3 bis 6 J.
  • Die 50 besten Spiele zur Inklusion. Die 50 beschriebenen Spiele zielen darauf ab, dass Kinder Toleranz entwickeln und Vielfalt als Chance erkennen. Einerseits geht es darum, Gemeinsamkeiten zu erkennen und Berührungsängste abzubauen, andererseits darum, besondere Fähigkeiten zu entdecken, Spaß zu haben sowie sich in Handicaps einzufühlen.
    Rosemarie Portmann: Die 50 besten Spiele zur Inklusion. München: Don Bosco 2013. 6 bis 10 J.

 

Bücher

Bücher machen die Vielfalt der Kulturen und Sprachen sichtbar. Mehrsprachige Bilderbücher unterstützen beispielsweise schon früh beim Erlernen und Festigen verschiedener Sprachen.

  • Prinzessin Sharifa und der mutige Walter: Dieses beeindruckende zweisprachige Bilderbuch (in Arabisch und Deutsch) überwindet spielend kulturelle Grenzen. Im Mittelpunkt stehen Walter, der Sohn Wilhelm Tells, und die mutige Prinzessin Sharifa, die dem König widerspricht. Zwei Geschichten aus der arabischen und westlichen Welt über Freiheit und Gerechtigkeit.
    Anne Richter: Prinzessin Sharifa und der mutige Walter. Basel: Baobab Books 2013. 6 bis 10 J.
  • Bené, schneller als das schnellste Huhn: Zur Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien erschien das Bilderbuch „Bené, schneller als das schnellste Huhn“ desselben Verlags.
    Eymard Toledo: Bené, schneller als das schnellste Huhn. Basel: Baobab Books 2013. 5 bis 10 J.

 

Diese und weitere Medientipps von BAOBAB finden Sie im Downloadmenü auf der rechten Seite auf einen Blick.

 

BAOBAB

BAOBAB ist eine Bildungs- und Schulstelle zu Globalem Lernen in Wien und bietet in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik einen Bestand zu Diversität, Interkulturalität und Mehrsprachigkeit an. Alle genannten Medien können hier entlehnt, die DVD „anderswo daheim“ auch erworben werden. Mehr unter: www.baobab.at und www.centrum3.at/bibliothek

 

Welche Medien eignen sich für interkulturelle Bibliotheksarbeit? Die Bildungsstelle Baobab gibt Tipps für DVDs, Spiele und Literatur für Kinder und Jugendliche zu den Themen Mehrsprachigkeit, Interkulturalität und Diversität. Die Empfehlungsliste steht auch zum Download bereit.

AutorIn: 
Hildegard Hefel

Als Michael Krüger, langjähriger Leiter des belletristischen Carl Hanser Verlags in München und selbst namhafter Lyriker (1), Mitte Jänner 2014 im Schloss Bellevue zu Berlin vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck das Verdienstkreuz Erster Klasse verliehen wurde, machte er in seiner Dankesrede einen ungewöhnlichen Vorschlag.
 

Keine gute Zeit

Einen Vorschlag, den man von ihm bereits andernorts gehört hatte. Nämlich, eine jede Sitzung des Deutschen Bundestags mit der Lesung eines Gedichtes zu beginnen. „Stellen Sie sich vor“, so Krüger, „Pofalla (2) liest zu Beginn ein kurzes Gedicht von Celan. Ich sage Ihnen: die ganze Sprachform der Sitzung würde sich ändern.“

 

Würden dann auch gute Zeiten anbrechen für das Genre Lyrik? Gedichte schließlich werden immer noch geschrieben und Dichter wie Tomas Tranströmer mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sie spielen jedoch heutzutage im Buchhandel wie auch in den Büchereien nur noch eine randständige Rolle.

 

Schon vor vierzig Jahre hatte der 1971 von Ost- nach Westdeutschland übersiedelte Dichter Peter Huchel (1903 bis 1981) in einem Zeitungsinterview auf die Frage, ob denn die Gegenwart keine gute Zeit für Lyrik sei, resigniert geantwortet: Nein, keine gute Zeit für Lyrik.
 

Festivals und Einrichtungen

Doch damals gab es noch nicht die spezifische Förderung durch Institutionen und mittels Auszeichnungen sowie zahlreiche Auftrittsmöglichkeiten bei Festivals.

 

So wird seit 1983, verliehen und gestiftet vom deutschen Bundesland Baden-Württemberg und dem Südwestrundfunk, der mit 10.000 Euro dotierte Peter-Huchel-Preis verliehen: an Autorinnen und Autoren, deren eindeutiger Schreibschwerpunkt die Lyrik ist. 2014 erhielt den Preis der Berliner Steffen Popp zugesprochen, in den Jahren zuvor wurden Monika Rinck und Nora Bossong geehrt. In der Liste der Ausgezeichneten finden sich Friederike Mayröcker (2010), der Südtiroler Oswald Egger (2007), Raoul Schrott (1999) und Ernst Jandl (1990). (3) Seit 1979 wird der Leonce-und-Lena-Preis vergeben, der ebenso wie der Lyrikpreis Meran (4) von einer Jury aus eingesandten Arbeiten ausgesucht wird.

 

Die Schweiz verfügt über mehrere, sich auf Lyrik konzentrierende Veranstaltungen, so das Internationale Lyrikfestival in Basel, (5) die Frauenfelder Lyriktage und den Seetaler Poesiesommer auf Schloss Heidegg in Gelfingen, Kanton Luzern, der bewusst vielsprachig konzipiert ist, etwa mit Homer-Rezitationen auf Schwedisch oder einer Lesung aus Werken William Shakespeares, übertragen in Nidwaldner Dialekt. (6)

 

In Deutschland wird seit 1980 im fränkischen Erlangen nahe Nürnberg das Erlanger Poetenfest abgehalten. Auch bei anderen Literaturfestivals in Deutschland nimmt die Poesie großen Raum ein, so bei den Tagen der Poesie in Würselen, beim Hausacher Leselenz, auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin und beim Internationalen Literaturfestival „Poetische Quellen“ im Kurort Bad Oeynhausen. 2012 wurde mit dem Schamrock-Festival das erste internationale Festival der Dichterinnen in München abgehalten.

 

Eine ständige Einrichtung ist das Lyrik-Kabinett in München mit regelmäßigen Lesungen, der Diskussionsrunde „Das lyrische Quartett“ und einer Spezialbibliothek. (7) Diese sich einer Stiftung verdankende Institution kooperiert auch mit dem Internationalen Poesiefilmfest München sowie mit dem Münchner Carl Hanser Verlag bei einer Lyrikreihe, in der unter anderen Raoul Schrott aus Landeck seine poetisch-archäologischen Übersetzungs- und Findungskünste einsetzte. (8) Derzeit arbeitet der Tiroler an einem Versepos mit dem Titel „Die erste Erde“, denn, so der Autor in einem Gespräch: „Nur die Poesie kann die Geschichte der Welt erzählen.“

 

Formal ist die Gegenwartspoesie überaus reichhaltig und vielgestaltig. Sie reicht vom Haiku bis zum Langgedicht, das etwa Jürgen Becker und jüngst Oswald Egger in deutscher Sprache wieder belebt haben. Das Internet bietet inzwischen auf Grund vieler der Poesie gewidmeten Websites einen leichten Zugang zu einer großen Auswahl. So finden sich auf www.lyrikwelt.de, in der Zeitschrift „Das Gedicht“ oder auf der Website der Berliner Literaturwerkstatt www.literaturwerkstatt.org eine große Zahl an Gedichten, Arbeits- und Textproben.



Lyrik in und aus Österreich

Merkwürdigerweise fehlt in Druckform ein repräsentatives, auch jüngste Tendenzen umfassendes Lesebuch für österreichische Lyrik. Für Dichterinnen und Dichter aus Deutschland hat ein solches der Göttinger Germanistikprofessor Heinrich Detering ediert. Diese umfangreiche Anthologie, Einführung und Vertiefung in einem liegt in der jüngsten Ausgabe in einer preiswerten Broschur vor. (9) Eine Alternative dazu stellen die seit 1970 erscheinenden Ausgaben der Zeitschrift PODIUM des gleichnamigen Literaturvereins dar (10) sowie der 2008 überarbeitete, vom Haymon Verlag neu aufgelegte Band „Neue österreichische Lyrik und kein Wort Deutsch“ von Gerald Kurdoglu Nitsche, der sich auf Lyrik sprachlicher Minderheiten konzentriert.

 

Der Verlag Berger aus Horn, Niederösterreich, hat jüngst mit „Neue Lyrik aus Österreich“ eine Reihe initiiert, in der seit 2013 unter anderem Bände von Gerhard Ruiss, Barbara Pumhösel und Gerhard Wall erschienen sind. (11) Mehr als zwölf Jahre älter ist der auf Lyrik spezialisierte Wiener Verlag Edition Korrespondenzen, dessen aus Bern gebürtiger Leiter Reto Ziegler beim Verlagsnamen gern nicht nur auf Charles Baudelaires Poem „Correspondances“ verweist, sondern auch auf die Métro von Paris. „Corréspondance“ steht dort für Verbindungen und Umsteigemöglichkeiten. Deshalb ist Zieglers Auswahl programmatisch international, vom Schweizer Kurt Aebli über tschechische, polnische, serbische, holländische Dichter bis zu Elfriede Czurda, Ilse Aichinger und dessen Schwester Helga Michie.

 

Weitere namhafte österreichische Lyrikerinnen und Lyriker sind Friederike Mayröcker, Julian Schutting, Alfred Kolleritsch, Christoph W. Bauer, Robert Schindel, Christine Busta, Christine Lavant, Hans Raimund und Peter Waterhouse und Sophie Reyer. Der Tiroler Markus Köhle, wie Mieze Medusa (Doris Mitterbacher) österreichischer Poetry Slammer von Format und Mitbegründer der Wiener Lesebühne „Dogma. Chronik. Arschtritt“, betreut Slam-Events in der Alten Schmiede in Wien und in der Bäckerei Innsbruck.

 

Überhaupt scheint in den Programmen österreichischer Verlage die Poesie noch immer stark auf, von Droschl, Graz (Elfriede Gerstl, Gerald Bisinger, Franz Josef Czernin) und Wieser, Klagenfurt (Cvetka Lipus, Gerhard Kofler) über Czernin, Wien (Christian Futscher) bis zur Edition Baes in Tirol, deren Schwerpunkt Beatlyrik ist, und dem Otto Müller Verlag in Salzburg. Jüngst erschien dort der erste Poesieband der Romanautorin Elisabeth Reichart. Darin heißt es, und zwar so kondensiert poetisch eben nur in der Form eines Gedichts ausdrückbar: „Schon legt sich die Dunkelheit auf das Wasser / ertrinkt ein Schrei in dem schwarzen See / leckt das Boot, das seinen Hafen nicht fand / kehren die schwebenden Nebel heim ins Gebüsch / Stille / Am Ufer lauert ihr Gegner“. (12)

 

Anmerkungen

1) Michael Krüger: Umstellung der Zeit.Berlin: Suhrkamp Verlag 2013, 3. Auflage 2014.
2) Ronald Pofalla, deutscher Politiker, von 2009 bis Ende 2013 Chef des Bundeskanzleramts in Berlin
3) Mehr unter www.peter-huchel-preis.de
4) Mehr unter www.lyrikpreis-meran.org
5) Mehr unter www.lyrikfestival-basel.ch
6) Mehr unter www.heidegg.ch
7) Mehr unter www.lyrik-kabinett.de
8) Raoul Schrott: Die Blüte des nackten Körpers. Liebesgedichte aus dem alten Ägypten. München: Hanser Verlag 2010.
9) Heinrich Detering (Hg.): Reclams Großes Buch der deutschen Gedichte. Stuttgart: Reclam Verlag 2013.
10) Mehr unter www.podiumliteratur.at
11) Mehr unter www.verlag-berger.at/erlesenes/neue-lyrik-aus-oesterreich.html
12) Elisabeth Reichart: In der Mondsichel und anderen Herzgegenden. Salzburg: Otto Müller Verlag 2013.

Der Stand der Lyrik im Buchhandel wie in Büchereien ist prekärer denn je. Doch Freunde der Dichtung, Leserinnen und Leser und Förderer gibt es noch immer. Und eine Vielzahl an Lyrikfestivals.

AutorIn: 
Alexander Kluy

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