Wie in einem Theater spielt sich während der Planung und Durchführung eines Vermittlungsangebotes aber mehr ab, als sichtbar ist. Um zu beschreiben, was qualitative Literaturvermittlung ausmacht, ist es unabdingbar, auch einmal einen Blick hinter „die Kulisse“ zu werfen.

 

Wozu Literaturvermittlung?

Dass Lesen und Literacy unverzichtbare Kompetenzen sind, ist unbestritten. Literatur und Kunst sind Kulturschätze, die entdeckt, bewahrt, reflektiert und weiterentwickelt werden wollen. Wir alle wissen, dass das Lesenlernen und die Auseinandersetzung mit Kunst herausfordernd und anstrengend sind und Motivation und Anreize benötigen.

Um Kinder dabei zu unterstützen, sich selbstbestimmt auf diese Aufgabe einzulassen, kann Kinderliteratur vermittelt werden. Dazu braucht es professionelle Angebote in einer anregungsreichen Umgebung, die Begeisterung für Kinderliteratur, Authentizität und viele Anknüpfungspunkte, um jedes Kind in seiner Individualität zu erreichen.

Literaturvermittlung hat über die Leseförderung hinaus den Anspruch und das Potenzial, Sprachförderung, Kunst- und Kulturvermittlung, Partizipation, Demokratisierung und vieles mehr zu vereinen. Auf dem Weg zum Lesen-Wollen werden staunend neue Welten entdeckt, kritische Fragen aufgeworfen und der Bezug zum eigenen Leben hergestellt. In den Vermittlungsstunden wird Kunst betrachtet und ausprobiert, es ist Raum zum Sprechen und Zuhören, Denken und Staunen, Fühlen und Erleben, Erproben und Scheitern, …

 

Wer vermittelt Kinder- und Jugendliteratur in Österreich?

Mit Literaturvermittlung beschäftigen sich viele Menschen, meist im Rahmen ihres Berufes: PädagogInnen in Schulen und Betreuungseinrichtungen, KinderbuchautorInnen und IllustratorInnen, BuchhändlerInnen, BibliothekarInnen oder Ehrenamtliche als VorlesepatInnen. Der BVÖ, das Bibliothekswerk, die Bibliotheksfachstellen und die pädagogischen Hochschulen bieten dazu und zu Leseförderungsprogrammen immer wieder Fortbildungen an.

 

Kunst der Vermittlung: Kinderliteratur

Das Kinderbuchhaus im Schneiderhäusl bot von 2016–2018 den Pilotlehrgang „Kunst der Vermittlung: Kinderliteratur“ an und damit auch erstmals in Österreich eine zertifizierte Ausbildung zur Literaturvermittlung. Die ersten 10 Absolventinnen aus ganz Österreich und Südtirol erhielten im Jänner 2018 ihre Zertifikate.

Die Professionalisierung der Vermittlung ermöglicht eine Aufwertung der oft aufwendigen Arbeit, die hinter solchen Projekten steckt. Steigende Qualität und Quantität der Angebote sowie Weiterbildungs- und Schulungsmöglichkeiten für alle in diesem Feld Tätigen gehören zu den Vorhaben der „frischgebackenen“ Literaturvermittlerinnen. Derzeit wird am Aufbau einer Plattform und eines österreichweiten Netzwerkes für Literaturvermittlung gearbeitet, das den Zugang zu Vermittlungsangeboten und Weiterbildungsmöglichkeiten erleichtern möchte.

 

Wo finden Vermittlungsangebote statt?

LiteraturvermittlerInnen kommen in Schulen, Bibliotheken, Betreuungseinrichtungen, aber auch in Parks, Stadtsäle, oder Freibäder. Überall, wo ihre Zielgruppen, also Kinder und ihre Eltern und interessierte Erwachsene sind, können Angebote gestaltet werden.

 

Wie funktioniert Literaturvermittlung?

Ziel der Literaturvermittlung ist es, neugierig zu machen, Zauber und Staunen zu ermöglichen, also nicht nur die kognitive, sondern auch die emotionale Ebene anzusprechen: Was mich berührt, beschäftigt mich - und damit setze ich mich auseinander. Diese Auseinandersetzung mit Literatur, Kunst und Büchern soll mit verschiedenen Angeboten angestoßen werden.

Zugänge zur Literaturvermittlung gibt es so viele wie Menschen, die sich damit beschäftigen.

Zu Beginn steht in den meisten Fällen ein bestimmtes Buch oder ein Thema. Um andere zu begeistern, ist die eigene Begeisterung für ein Buch der erste Schritt, denn vor allem Kinder lassen nur authentische Begegnungen gelten. 

Was berührt mein eigenes inneres Kind?

Manche Bücher begeistern schon auf den ersten Blick, andere brauchen noch einen zweiten oder dritten Versuch. Bei Bilderbüchern kann der Text oder die Illustration allein packend sein oder es ist die Bild-Text-Interdependenz, die besonders anspricht.

Zur Beschäftigung mit dem Buch gehört neben dem genauen Betrachten und Lesen auch, den Kontext des Buches anzusehen: Informationen über AutorInnen und IllustratorInnen und deren Zugänge und Techniken und intermediale Bezüge erweitern den eigenen Horizont und auch den Blickwinkel auf das Buch und seine Entstehung.

Der nächste Schritt ist die Frage, wie ein Dialog möglich werden kann: Welche Details fallen auf, welche sind für Kinder wichtig, was finden sie spannend?

Es gibt viele erprobte Möglichkeiten, wie eine Literaturvermittlungseinheit ablaufen kann. Wichtig ist es, für die jeweilige Gruppe bzw. Einheit passende Methode zu finden oder kreativ zu werden und eigene zu erfinden, die die Kinder anspricht.

Wichtig ist auch die Überlegung, welche Materialien verwendet werden. Es soll ein Erfahrungsraum entstehen, der alle Sinne anspricht und der die Geschichte vielfältig widerspiegelt, so dass für die individuellen Bedürfnisse der Kinder einer Gruppe Anknüpfungspunkte oder Reibungsflächen geschaffen werden.

Unumgänglich ist die Beschäftigung mit den Rahmenbedingungen. Wie groß ist die Gruppe, wie alt sind die Kinder, welche besonderen Bedürfnisse oder Wünsche sind zu erfüllen? Ebenso wichtig sind räumliche und finanzielle oder personelle Besonderheiten.

 

Ideen und Tipps zur Vermittlung finden sich im Ideenportal oder bei den LiteraturvermittlerInnen (siehe unten).

 

Weiterführende Literatur und Links:

 

Kathrin Hömstreit ist Literaturvermittlerin, Sozialpädagogin und ehrenamtliche Bibliothekarin. In ihrer Arbeit im Kindergarten und in der Bibliothek veranstaltet sie regelmäßig Literaturvermittlungseinheiten und Buchstarttreffen und bietet seit 2018 auch Workshops und Fortbildungen für Schulen, Kindergärten und Bibliotheken in Niederösterreich und Wien an.

Mai 2018

„Da kommt jemand vorlesen und dann wird ein bisschen gespielt.“ So oder ähnlich wird eine Literaturvermittlungseinheit oft angekündigt. Es klingt so einfach und das soll auch sein. Einfach im Sinne von spielerisch, niederschwellig, dargeboten mit Leichtigkeit, Freude und Begeisterung.

AutorIn: 
Kathrin Hömstreit

Angelika Reitzer, geb. 1971 in Graz, studierte in Salzburg und Berlin Germanistik und Geschichte, lebt und arbeitet in Wien. Rund fünf Jahre hat sie in der Alten Schmiede AutorInnen und ihre Bücher vorgestellt, hin und wieder unterrichtet sie an der Angewandten am Institut für Sprachkunst. Zuletzt erschienen: „Obwohl es kalt ist draußen“ (Roman 2018), „Im Schatten der Utopie“ (Film von Antoinette Zwirchmayr, Text A. Reitzer, 2017), „Die Finsternis aufhalten“ (Regie: Jacqueline Kornmüller, 2016), „Wir Erben“ (Roman, 2014).

Auf der diesjährigen Berlinale feierte der Kurzfilm „Im Schatten der Utopie“ seine internationale Premiere, der dritte Teil einer autobiographischen Familientrilogie der Künstlerin Antoinette Zwirchmayr. Ich habe für alle drei Kurzfilme, die im Lauf der vergangenen Jahre auf 16 mm gedreht wurden und gemeinsam „Woran ich mich erinnere“ heißen, die Off-Texte verfasst, die durchaus gleichwertig neben den eigenwilligen Filmbildern stehen: Aus der Perspektive der erwachsenen Künstlerin, der Enkeltochter und Tochter, aus dem Blickwinkel des kleinen Mädchens Antoinette in den 90er-Jahren.

NEWSLETTER 05/2018

Der Newsletter „Wir lesen!“ erscheint monatlich und enthält News, Hintergrundberichte, Videos und Fortbildungsangebote rund ums Lesen. Nachzulesen sind außerdem praxisnahe Ideen für die Literaturvermittlung.

 

(c) Stefan KnittelAm 23. April wurde der Bilderbuchpreis „LESEL“ an Autorin Berenike Oppermann und Illustratorin Elisabeth Kihßl für ihr Buch „Wir wollen doch nur spielen“ vergeben.

 

Der Internationale Bibliothekskongress „VERMITTELNDE (W)ORTE“ zum Thema Bibliotheken und Demokratie hält für LeseförderInnen und LiteraturvermittlerInnen zahlreiche wertvolle Inputs bereit.

 

Von 16. bis 17. Mai findet der Internationale Bibliothekskongress des BVÖ in Graz statt. Das Publikum darf sich auf ein umfangreiches Programm und fachkundige wie prominente ReferentInnen freuen. In Vorträgen, Diskussionen und Workshops wird deutlich, wie vielfältig das Thema Bibliotheken und Demokratie gestaltet werden kann.

 

Robert Menasse erhält für sein Gesamtwerk den Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen 2018.

 

„Robert Menasse verbindet die meist getrennt wahrgenommenen Bereiche Literatur/Kunst, Politik und Philosophie zu neuer Produktivität als Think Tank neuer, humanistischer, gesamteuropäischer Perspektiven.“ heißt es in der Jurybegründung. Die Preisverleihung findet am am 18. November 2018 statt.

 

Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben und ist mit 20.000 Euro dotiert. Zuletzt wurde Jenny Erpenbeck und davor Michael Köhlmeier ausgezeichnet.

Die GewinnerInnen der „International Excellence Awards“ der London Book Fair 2018 stehen fest. Die Lettische Nationalbibliothek ist die „Bibliothek des Jahres“.

 

Die Empfänger der Awards, welche in Zusammenarbeit mit der Publishers Association veranstaltet und von Hytex gesponsert wurden, kamen unter anderem aus Lettland (drei Auszeichnungen), den USA (zwei Auszeichnungen) und Indien (zwei Auszeichnungen).

 

Neben zahlreichen weiteren wurden folgende Auszeichnungen vergeben:

„Wer eine Geschichte zu erzählen hat, ist ebenso wenig einsam wie der, der einer Geschichte zuhört. Und solange es noch jemanden gibt, der Geschichten hören will, hat es Sinn, so zu leben, dass man eine zu erzählen hat.“ (Sten Nadolny in „Selim oder Die Gabe der Rede“)

Wir leben in Geschichten, deuten uns aus Geschichten und schreiben ein Leben lang an unserer eigenen. Und es ist unser Wunsch, diese Geschichten miteinander zu teilen. Lesen sucht das Du. Das scheinbar so einsame Geschäft des Lesens bildet ein wesentliches Bindeglied im sozialen Zusammenleben der Menschen und vermag über Generationen und Kulturen hinweg Beziehungen aufzubauen. 

„Lesen“ und „Leben“ sind nur durch einen Buchstaben voneinander getrennt – und so eng gehören die beiden Begriffe auch zusammen. Im Lesen richten wir den Blick auf die Welt und treten zugleich in ein Gespräch mit uns selbst ein. Noch intensiver wird dieser Austausch im Geschehen des Vorlesens. Die Ideen und Weltentwürfe der AutorInnen, die vermittelnde und interpretierende Stimme der Vorlesenden und die in körperlicher wie emotionaler Nähe dem Geschehen folgenden ZuhörerInnen bilden gemeinsam einen spannungsvollen Raum des Denkens und Spürens, in dem neue Bilder entstehen, die Gedanken zu fließen beginnen und das Leben zur Sprache kommt.

Vorlesen boomt. Die Rückkehr dieser bereits versunken geglaubten Tradition überrascht auf den ersten Blick, kann aber bei genauerem Hinsehen unschwer als Gegentrend zur digitalen Beschleunigung und medialen Omnipräsenz nahezu aller Formen von Information und Unterhaltung gedeutet werden. In einer Vorlesesituation tritt man in einen vertrauten Kreis Gleichgesinnter, nimmt sich bewusst Zeit füreinander und erfährt ein entschleunigendes Sich-Sammeln gegen den dominierenden Trend der Zerstreuung.

 

Wiederentdecken einer alten Tradition

Neu in seiner Qualität erkannt wurde das Vorlesen vor allem auf dem Gebiet der Lese- und Sprachförderung. Die Untersuchungen zu PISA haben wissenschaftlich zutage gefördert, was viele Eltern und BücherfreundInnen immer schon wussten: Im Vorlesen und im dialogischen Herangehen an Bilderbücher und Geschichten entwickelt sich unsere Sprache, werden die menschlichen Innen- und Außenwelten erkundet und vertiefen sich die Beziehungen innerhalb der Familie oder einer Gruppe.

Beliebte Vorleseorte außerhalb der Familie finden sich heute vor allem in öffentlichen Bibliotheken, Kindergärten, Eltern-Kind-Gruppen oder Seniorenheimen. Um dem allseits aufflackernden Trend Richtung zu geben und die Freude des Vorlesens breiteren Teilen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, haben sich 2014 auf Initiative des Österreichischen Bibliothekswerks VertreterInnen katholischer Bildungseinrichtungen (MARKE Elternbildung, Katholisches Bildungswerk, Seniorenpastoral und Caritas) zusammengefunden, um ein österreichweites Curriculum für die Ausbildung von VorlesepatInnen zu entwickeln und entsprechende Kurse anzubieten. Dabei hat man sich vor allem die Konzepte und Erfahrungen aus Vorarlberg nutzbar gemacht, wo die Bibliotheks-Fachstelle mit der Caritas bereits seit 2012 in einer Art Vorreiterrolle überaus erfolgreich entsprechende Ausbildungskonzepte erarbeitet und umgesetzt hat.

 

Ganz Ohr!

Das Vorarlberger Konzept unter dem Titel „Ganz Ohr!“, das nach der Ausbildung auch ein begleitendes Betreuungsnetz bietet, wurde adaptiert, zertifiziert und mittlerweile in allen österreichischen Diözesen und Bundesländern erfolgreich aufgegriffen und umgesetzt.  Bereits mehr als 500 TeilnehmerInnen haben bis Ende 2017 die meist auf drei Tage verteilten Workshops besucht, sich mit den technischen, pädagogischen, sozialen und rechtlichen Aspekten des Vorlesens auseinandergesetzt und Sicherheit in der Gestaltung eigener Vorlesekonzepte und -situationen gewonnen. War der Fokus anfänglich auf Vorlesen mit Kindern von zwei bis zehn Jahren gerichtet, so wurde bald der Wunsch laut, auch dem Vorlesen für SeniorInnen und dem Lesen im interkulturellen Kontext größeres Augenmerk zu schenken, was zur Entwicklung spezifischer Programme geführt hat.

Zur Unterstützung der Kurse wurde eine Reihe an Materialien entwickelt und Broschüren erstellt. Auf Basis der Evaluation der Kurse durch das Institut für Soziologie der Universität Wien wurde das Konzept durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz 2017 als „Good Practice“ im Bereich der SeniorInnen-Bildung ausgezeichnet.

 

Begeisterung auf allen Seiten

Im Unterschied zu LesepatInnen im Schulbereich, die sich zumeist in Eins-zu-eins-Situationen der Förderung der Lesekompetenz annehmen, stehen für die  Ganz-Ohr-VorlesepatInnen die Lesefreude und sozial-integrative Aspekte im Vordergrund. Es geht nicht um die Organisation längerer Lesungen, sondern vielmehr darum, gemeinsam in eine Geschichte einzutauchen, sie mit dem eigenen Leben in Beziehung zu setzen und Gedanken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Diese Form des Vorlesens ist immer dialogisch und bringt das Leben im wörtlichen Sinn zur Sprache.

Bei aller Unterschiedlichkeit in ihrer Herkunft oder Ausbildung ist den VorlesepatInnen eines gemeinsam: die Freude in der Begegnung mit anderen Menschen. Das Alter der VorlesepatInnen ist breit gefächert, am stärksten vertreten ist die Gruppe der 50- bis 70-Jährigen, der Männeranteil liegt mit 7 Prozent noch sehr niedrig. Das gemeinsame Lesen von Sachbüchern zu MINT-Themen, angereichert mit kleinen Experimenten, soll diesen Anteil in Zukunft heben.

Aus den Rückmeldungen der LesepatInnen werden die bereichernden und berührenden Erfahrungen der Vorlesenden deutlich, wenn im Gespräch der Generationen Lebenserfahrung und neue Weltsichten einander begegnen. Die VorlesepatInnen spüren und erleben, wie sie von den Kindern oder SeniorInnen erwartet werden. Das stärkste Medium ist nicht das mitgebrachte Buch, sondern der Mensch selbst.

 

Reinhard Ehgartner ist Geschäftsführer des Österreichischen Bibliothekswerks.

April 2018. Dieser Artikel ist erstmals in den „Büchereiperspektiven 1/18“ erschienen.

Vorlesen boomt und dafür sind VorlesepatInnen gefragt. Das Konzept „Ganz Ohr!“ bietet Interessierten österreichweit eine Ausbildung zur Vorlesepatin/zum Vorlesepaten an.

AutorIn: 
Reinhard Ehgartner

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