Milena Michiko Flašar bloggt: Der Sommer - er liest.

Noch knapp zehn Tage, dann geht es für die Autorin in die Schreibferien! Aber was mitnehmen? Und was ist das überhaupt, diese "Urlaubslektüre"?

Noch knapp zehn Tage. Dann geht es ans Meer. Während hier schon der Herbst leise Einzug hält (erste Blätter, die zu Boden wirbeln, der Geruch von Erde, dunkel und nass), fahre ich gegen Süden, in der Hoffnung auf einen Sommer, der nicht zu Ende gehen mag. Er wartet auf mich, dort unten, mit seinen schaukelnden Fischerbooten, und ich eile zu ihm wie zu einem Freund, lang vergessen, und erst im Hineilen erinnere ich mich an sein Gesicht, den Ausdruck von Langeweile. Der Sommer hat Zeit. Er ist müßig. In meiner Erinnerung sitzt er am Hafen, im Rücken die wandernde Sonne, und blättert in einem Buch. Der Sommer - er liest. Hier und dort, zwischen den Zeilen, hält er inne und trinkt einen Schluck Wein.

 

Stichwort Urlaubslektüre. Ein hässliches Wort. An ihm haftet der Geschmack von leichter, bekömmlicher Kost, dazu gedacht, dem Kranken, der ohnehin nichts zu lachen hat, den letzten Rest Freude (und damit Daseinsgrund) zu nehmen. Er soll sich entspannen – jetzt sofort! – kaum angekommen, den Alltag abstreifen. Nicht nachdenken. Die Seele baumeln lassen. Eine hässliche Phrase. Sie könnte der Titel eins jener Bücher sein, die man als Urlaubslektüre mit in den Koffer packt. Der Umschlag zeigt eine Hängematte und/oder Zehen im Sand. Eigentlich schön. Der Sommer aber – er liest nichts dergleichen. Man merkt es an seiner Bedachtsamkeit. Hier und dort, bei einem Wort, das seine Ruhe stört, macht er eine Notiz, und man merkt, an der Art, wie er den Bleistift hält, dass es ihm ernst ist damit. Er will gestört sein. Er will es – trotz des Weins und der Sonne und des türkisfarbenen Wassers. Zwar verbringt auch er den halben Tag in der Hängematte und/oder steckt die Zehen in den Sand, aber nicht um fort-, sondern hinzukommen. In Wahrheit – er weiß es – wird er zu Ende gehen. Und gerade deshalb  - weil er es weiß - gibt es keinen Urlaub für ihn.

 

Was also mitnehmen? Auf jene Insel in der Adria, wo der Sommer auf mich wartet? Noch bin ich unentschlossen. Ganz entschieden aber Alltagslektüre! Eine, bei der mir kalt werden wird (bei 30 Grad). Und ganz entschieden einen Bleistift! Und keine Hoffnung, nicht aufs Ewige. Ein Handtuch. Das auch. Während hier der Regen bereits den September ankündigt, fahre ich gegen Süden, in dem Wissen, dass zu Hause die ersten Kastanien von den Bäumen fallen.

 

Nachtrag:

BuchhändlerInnen sind sonderbar (und ich meine das durchwegs im besten Sinn: Sie sind besonders). Wenn man – sowie ich – in der glücklichen Lage ist, ums Eck eine Buchhandlung wie Hartliebs zu haben, dann stellt sich ein beinahe possessives Verhältnis dazu ein: „Meine Buchhandlung“, sage ich oft. Oder: „Meine Buchhändlerin, Frau Hartlieb“. Ihr verdanke ich neben der Alltagslektüre auch die Insel, auf der ich sie lesen werde – ein Geheimtipp, wie man ihn eben nur von jemandem bekommt, der sonderbar-besonders ist.

 

BuchhändlerInnen, so scheint es, verkaufen nicht nur Bücher. Manchmal passiert es, dass sie einen an Orte bringen, an die man ohne sie nicht gekommen wäre. Bei den schaukelnden Fischerbooten werde ich daran denken und einen Gruß zurück in die Währinger Straße schicken, dorthin, wo die Reise ihren Anfang nahm.  

Gastblogger/in

Milena Michiko Flašar
Milena Michiko Flašar_privat

Milena Michiko Flašar, geboren 1980 in St. Pölten, hat in Wien und Berlin Germanistik und Romanistik studiert. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters mit tschechischen Wurzeln, und lebt in Wien. Ihr drittes Buch „Ich nannte ihn Krawatte“ (erschienen im Wagenbach Verlag 2012) war u.a. für den Deutschen Buchpreis nominiert und ist in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Sie erhielt dafür den Alpha Literaturpreis 2012 und den euregio Literaturpreis 2015.

 

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