Karin Peschka bloggt: Unter Wasser
Ljuba ist zu kurz für dieses Hotel. Um im großen Fauteuil vor dem Kaminfeuer bequem sitzen zu können, zieht sie die Schuhe aus und schlägt die Beine unter. Sie strickt, ich tippe auf meinem Notebook, der Barkeeper poliert im Hintergrund Gläser. Das Problem lässt sich nicht immer so einfach lösen. Bei einer Wassertiefe von 140 Zentimetern reichen ihre 154 nicht aus, um friktionsfrei an der Wassergymnastik teilzunehmen. Während ich am Vormittag den Anweisungen der Turnlehrerin folgte, die am Außenbeckenrand fror, hatte Ljuba die Wahl zwischen Aquaballett auf Zehenspitzen oder Wasserpegel Oberkante Augenbrauen.
Wir sind in einem Thermenhotel abgestiegen, heute ist unser letzter Abend. Drei Tage, zwei Nächte mit Aromatherapie, Kräutersauna und sporadischer Fußdesinfektion, weil den Einheits-Badeschlapfen ein gewisses Verwechslungspotential innewohnt. Dafür lockert sich meine Verspannung im rechten Nackenbereich. Es gibt hier eine Infrarotkabine, die würde ich gerne mit nach Hause nehmen. Dort zwängt sich allerdings schon der Schreibtisch zwischen Wäschetrockner und Fensterbrett. Ich könnte ihn in die Kabine stellen, überlege ich laut, während Ljuba routiniert einen neuen Strang Wolle aufwickelt. Das Feuer prasselt, es geht uns gut.
Am ersten Abend hatten wir das Außenbecken fast für uns allein. So mag ich‘s: Kalte Luft, bacherlwarmes Wasser, das in die schwarze Nacht dampft, und viel Platz. Langsam zogen wir unsere Runden, vorbei an Zweikopftieren, die im Nebel schnäbelten. Vom Saunabereich wehte Zigarettenrauch. Wir sprachen über Bücher, über unsere und die von anderen. Dann erörterten wir, warum einem gute Antworten immer zu spät einfallen. Am vergangenen Wochenende zum Beispiel hätte ich auf der Buch Wien auf die Frage nach einem Lesetipp Marieluise Fleißers „Eine Zierde für den Verein“ empfehlen können. Kein Wunder, dass ich erst hier daran dachte, im Roman wird auch geschwommen.
Als wir heute nach einem Saunagang im Wasser tümpelten, kam mir ein anderer Liebling in den Sinn. „Übrigens hat Joachim Ringelnatz ein Gedicht geschrieben, das ‚Unter Wasser Bläschen machen.‘ heißt“, sagte ich und versuchte, der Kälte so wenig Stirn wie möglich zu bieten. Es gibt hier ein sehr kaltes Becken zum Abkühlen, Ljuba kann das, rein, prusten, raus, zurück ins Warme, seufzen: „Ach, ist das schön!“ Ich kann das nicht. Aber Ringelnatz zitieren, sobald die Massagedüsen angeworfen werden und mir kleine Luftperlen den Rücken hochsteigen, das kann ich.
Die Wolle ist aufgewickelt, Ljuba gähnt. Zwei ältere Paare spielen Mensch-Ärgere-Dich-Nicht. Ich habe das Ringelnatz-Gedicht gefunden und lese es Ljuba vor. Sie lacht. Im Frühjahr erscheint ihr Erstling. Sie heißt wie ein bekannter österreichischer Fußballer und hat gerade das Halma-Brett entdeckt. Ihre Augen leuchten. „Spielen wir?“, frage ich. „Ich gewinne immer“, sagt sie und klettert aus dem Fauteuil.