Cordula Simon bloggt: Das grafisch novelierte Sommer-O

Das runde SOmmerlOch einer AutOrin mit einer GOttesanbeterin und einem CartOOOn 

Nach dem Beginn des Sommers in Sibirien habe ich den August in Graz verbracht, und der August ist tendenziell einer jener Monate, in denen in der Literaturwelt ohnehin Sommerloch ist. Das vom Sommerloch vermittelte Gefühl ist ein unfassbar lochiges, mit zwei runden Os, in denen man die Hitze so richtig schön spürt. Am besten schläft man tagsüber, während die Hitzewelle über einen hinwegrollt und auch das mit einem O, aus dem man kaum herauskommt. Arbeiten geht tagsüber ohnehin nicht. So ist es zwar auch heiß, aber bei heruntergelassenen Jalousien kann man immerhin das O nicht mehr sehen. In der Hitze, die in kleinen Sternchen zwischen den Jalousien funkelt, träume ich dann auch von kühlen Sachen wie von Stanislav Lems „Summa technologiae“. Kühl, aber nicht ungenau, denn viel, was Yuval Harari heute so schreibt, hat Lem ja schon in den Sechzigern geschrieben. Auch da sind zwei Os, die mich aber nicht stören, weil das CH das Wörtchen zum Glück ein bisschen abkühlt. Idealerweise geht man ohnehin nur nachts hinaus und nachts habe ich auch die Gottesanbeterin gefunden. Auch die mit einem ordentlichen O, aber in diesem Wort wirkt es weit weniger rund. Im Englischen könnte mir das auch mehr zischen. Zischen wie Insekten im trockenen Gras, als könnten sie es mit ihren Stimmen abfackeln, wenn sie nur lange genug zischen. Anstatt "praying mantis" hätte ich dann "preying mantisse" - ein bisschen brutaler und wesentlich zischender. Oh du Nachkommastelle meines Herzens! Die tut ja eh nur so, als würd sie beten. Im Russischen heißt sie Bogomol. Über die inflationäre Menge glühender Loch-Os brauchen wir hier gar nicht zu beginnen. Der Punkt jedenfalls ist dieser, dass wenn man nachts durch die Heinrichstraße wuselt, man eine Gottesanbeterin treffen kann. Diese ist dort stationär, nämlich geschmiedet auf einer Tür und daher wenn es dunkel wird von hinten beleuchtet und vom Geidorfplatz kommt schwerer Blütenduft. Natürlich habe ich sie fotografiert und festgestellt, dass das doch noch viel netter aussähe, wenn die Wärme, die ich als Betrachter der Tür fühlen konnte, dem Betrachter des Bildes mitgeliefert würde und wie wahre Dilettanten das machen, habe ich eben ein paar Filter darüber gelegt. Abendrot. Auch mit O. Abendrotflackern oder ein Waldbrand, ausgelöst durch ein Zischen. Erstaunlich, auch einmal etwas fotografiert zu haben, das mit dem Cartoon-Filter ganz passabel aussieht. Cartoooooon! Ein röhrendes O.

Und dann saß ich und grübelte, grübelte und grübelte, was ich mit sechs Beinchen so machen würde. Ganz ohne überhitzte O-Löcher. Als ich morgens endlich einschlafe, bilde ich mir ein, geträumt zu haben, aber vermutlich ist die Gottesanbeterin mir nur zwischen die Gehirnwindungen gekrabbelt in der Hoffnung, dass es dort kühler ist, oder sie dort etwas in Brand setzen kann. Sie hat wohl wirklich trockenes Gras gefunden, denn ich habe ihr rundes rötlich schimmerndes O genommen wie ein Vergrößerungsglas, und da sitzt sie nun und krabbelt und, wer weiß, vielleicht krabbelt sie noch ein Stück in den Windungen meines Kopfes gen Winter oder hinaus in andere Bilder, als bewegte kleine düstere, zischend sommerliche Graphic Novel.



Wie es mit der Gottesanbeterin weitergeht, findet sich dann gewiss irgendwann auf cordula-simon.at, wenn es weniger heiß ist.

Gastblogger/in

© privat
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Cordula Simon, geb. 27.3.1986 in Graz, bis 2011 Studium der deutschen und russischen Philologie in Graz und Odessa und Mitarbeiterin der Jugend-Literatur-Werkstatt Graz. Danach freie Autorin in Graz und Odessa. Mitglied der Grazer Literaturgruppe plattform. Veröffentlichung in diversen Zeitschriften (manuskripte, ZEIT Campus, Opus, Kolik, Lichtungen). Diverse Preise und Stipendien. Bisher erschienen: Der potemkinsche Hund (Picus, Wien 2012), Ostrov Mogila (Picus, Wien 2013), Wie man schlafen soll (Residenz, Wien 2016) und Der Neubauer (Residenz, Wien 2018)

 

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