Anna Weidenholzer bloggt über ihre Zeit als writer-in-residence in New York

Anna Weidenholzer verbrachte den Dezember als writer-in-residence im Big Apple und berichtet von seinen geheimnisvollen Bewohnern und einer Zeit des Sich-Treiben-Lassens.

Ich lebe auf einer Insel. Gehe ich nach links oder rechts, stehe ich bald an, nach unten ist es nicht weit, nach oben hin könnte ich vier Stunden lang gehen, aber irgendwann bin ich auch hier bis ans Ende gelangt. Unten ist Downtown und oben Uptown, meine Insel Manhattan und zum Glück liegt dort drüben Brooklyn, es ist nicht weit und ich kann jederzeit hinüber, ich möchte nicht auf einer abgeschnittenen Insel leben.

 

Noch bis Ende Jänner wohne ich als writer-in-residence der NYU in New York, das Rauschen der Stadt ist ständig im Hintergrund zu hören. Ich gehe viel, ich lasse mich treiben, selten habe ich ein so sehr in sich geschlossenes Gehen erlebt wie in meinen ersten Wochen hier. Was ich als writer-in-residence mache, werde ich oft gefragt. Arbeiten, sage ich dann, weil es eine zufriedenstellende Antwort ist und nach einem Auftrag klingt. Nein, ich muss nichts Bestimmtes schreiben, füge ich bei Nachfragen hinzu: Nein, kein Ziel erfüllen, zwei Lesungen halten, ja, das schon.

 

Voll und ganz hier sein, so viel Leben wie möglich einfangen, schreiben. Ich habe meine Bücher in Wien gelassen, ich lese, was mir in die Hände fällt, Jenny Offill, Joseph Mitchell, Lydia Davis, an manchen Tagen auch nur den Washington Square Park, der sich in unmittelbarer Nähe zu meinem Appartement befindet. Es dauert nicht lange, bis etwas passiert, irgendjemand ist immer da: Der Mann mit dem rollbaren Spind, ein Fenster eingebaut, dahinter drei Katzen, manchmal schläft eine davon auf seinem Schoß. Die Frau, die nach der Arbeit die Eichhörnchen füttert, sie weiß, welches in welchem Baum zuhause ist. Kepo, ruft sie und die Eichhörnchen laufen heran, holen ihre Nüsse ab. Die Hundebeobachter und die Hundebesitzerinnen, ein Kind an einer roten Leine, das auf einen Hund an einer blauen Leine trifft, beide werden schnell zurückgezogen.

 

Überhaupt, die Tiere sind allgegenwärtig. Ob das mit den Hirschen stimme, fragte mich ein Fischer auf einer Holiday Party. Er war vor ein paar Jahren zum Angeln in Österreich gewesen, im Mühlviertel, wegen der Forellen, großartige Forellen, und habe gehört, dass die Hirsche im Böhmerwald sich immer noch an den Eisernen Vorhang halten, dass sie nur bis zu jenem Bereich wandern würden, der früher durch Stacheldraht abgesperrt war. Ich erzählte von den neuen Zäunen in Ungarn, von Grenzbefestigungen, deren Verschwinden wir noch vor einigen Jahren gefeiert haben und die jetzt wieder aufgezogen werden, ich erzählte von Spielfeld und der österreichischen Lösung, von den Hirschen wusste ich nichts.

Gastblogger/in

Anna Weidenholzer (c) Lukas Beck
(c) Lukas Beck

Anna Weidenholzer, geboren 1984 in Linz, lebt in Wien. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien und Wrocław/Polen, währenddessen arbeitete sie im Chronikressort einer Regionalzeitung. Seit 2009 Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, 2010 erschien der Erzählband “Der Platz des Hundes”, 2012 der Roman “Der Winter tut den Fischen gut”. Auszeichnungen (u.a.): 2009 Alfred-Gesswein-Preis, 2012 Aufenthaltsstipendium Literarisches Colloquium Berlin, Stadtschreiberin von Kitzbühel, 2013 Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse (Publikumspreis), Reinhard-Priessnitz-Preis, 2014 Projektstipendium für Literatur, 2015/16 Writer-in-Residence am Deutschen Haus der NYU in New York. http://ncg31.eden1.netclusive.de/anna/

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