Lesen als Austausch

Lesekreise sind ein Klassiker der Leseförderung, die auf sozialen Austausch setzen und in unterschiedlichen Formen immer neu an Beliebtheit gewinnen.

AutorIn: 
Anna Zschokke


Wenn sich Menschen zum Vorlesen treffen, einander im Internet Bücher vorschlagen oder junge Lesende eifrig Stempel in ihren Sommerlesepässen sammeln, dann wird das „stille Lesen“ zu einem gemeinsamen Erlebnis. Klassische Formen des sozialen Lesens existieren heute neben und kombiniert mit sozialen Medien oder Phänomenen wie der Besprechung gelesener Bücher auf Portalen wie „Goodreads“ oder „LovelyBooks“. Bibliotheken, Privatpersonen, Vereine und Geschäftsleute setzen eine große Bandbreite an Initiativen mit dem Ziel, mehr Menschen zum Lesen oder zu einem anderen, gemeinschaftlichen Leseerlebnis zu bringen.

 

Aktionen für Klein und Groß

Eine der klassischen Aktivitäten ist ein Sommerleseklub. In fast jedem Bundesland gibt es ein übergreifendes Programm für öffentliche Büchereien. Wilma Schneller, Leiterin der Bibliothek Altach und Organisatorin der Vorarlberger Aktion, erzählt, dass das „Sommerlesen“ so gut ankommt, dass 2017 bereits die 2. Auflage der Lesepässe ausgegeben werden musste. Inspiriert von Aktionen einzelner Bibliotheken befindet sich das „Sommerlesen“ im 6. Jahr. In Altach selbst wurden letztes Jahr 350 Lesepässe retourniert. Auch Kinder im Vorlesealter sowie vor- und selbst lesende Erwachsene können teilnehmen. Das Land Vorarlberg startete dieses Jahr in Bregenz und Dornbirn einen Sommelesekalender als Pilotprojekt an den öffentlichen Schulen.

Aktionen, die Kinder und Betreuungspersonen gemeinsam einbinden, befördern soziales Lesen auch für Erwachsene. Dazu zählen Tanzpartys für Kleinkinder, Vorlesestunden oder Veranstaltungen wie die „Lesekuschelzeit“ der Bücherei Weiz, wo Kniereiter, Fingerspiele, Lieder, Fühl- und Pappbücher gemeinsam ausprobiert werden. Ebenfalls an die gesamte Familie richten sich der „Berliner Lesetroll“ oder die davon inspirierten, vom „Wiener Bücherschmaus“ entwickelten „Bücher auf Rädern“, bei denen ein Rollkoffer mit Büchern, Hörbüchern und Spielen in einer Klasse oder Kindergartengruppe von Kind zu Kind wandert und von der ganzen Familie gustiert werden kann und soll. Ähnliche Angebote machen Bibliotheken.



Lesekreise in neuen Formen

Gemeinschaftliche Leseangebote gibt es auch für Erwachsene und in originellen Formaten. In der Zweigstelle Margareten der Büchereien Wien wird seit November 2016 einmal im Monat die „Buch Masche“ veranstaltet, eine lockere Strickrunde, bei der sich die Teilnehmenden gegenseitig Bücher vorstellen. Die Idee zu der Veranstaltung hatte eine Leserin, die die Runde nun koordiniert. „Die Menschen wollen selbst aktiv sein,“ sagt Eva Catty, die Leiterin der Zweigstelle. Jedes Mal kommen zwischen zehn und fünfzehn Personen verschiedener Altersgruppen, die Veranstaltung wird in der Bezirkszeitung und in den Zeitungen „Falter“ und „Augustin“ angekündigt. Im Sommer findet sie auf der Terrasse der Bücherei statt, wo im Herbst außerdem ein Urban-Gardening-Projekt mit Schulklassen lanciert wird.

Aus England kommen die sogenannten „Shared Reading“-Lesekreise. Unter der Anleitung speziell ausgebildeter Freiwilliger von der Organisation „The Reader“ lesen Menschen in kleinen Gruppen Bücher, Texte, Gedichte vor und sprechen über ihre unmittelbaren Eindrücke. Gegründet wurde „The Reader“ von Jane Davis mit der Absicht, vereinsamten Menschen wieder soziale Anknüpfungspunkte zu geben. Motiviert durch die guten Ergebnisse, findet „Shared Reading“ auch für Kinder und Betreuungspersonen, in Kliniken, in Gefängnissen und zur Förderung des sozialen Zusammenhalts in Firmen statt. Carsten Sommerfeldt und Thomas Böhm von den „Literarischen Unternehmungen“ haben nun im Sinn, „Shared Reading“ im deutschen Sprachraum zu verbreiten.

 

Lesezirkel im Internet

Der klassische Lesekreis findet seinen Platz auch im Internet, zum Beispiel der von der Schweizer Bibliothekarin Seraina Scherer 2011 gegründete Twitterlesezirkel, an dem jeden Monat jeweils zwischen 8 und 20 Personen aktiv teilnehmen. Scherer wählt die Titel mit besonderem Augenmerk auf Schweizer Literatur aus. Blog und Twitteraccount verwaltet sie mit dem IT-Fachmann Patrick Seemann. Gemeinsam wird gelesen und unter dem Hashtag #lesezirkel bis zu einem jeweils kollektiv ausgemachten Zeitpunkt kommentiert, danach ein Fazit gezogen. Auch viele Promis wie die Schauspielerinnen Emma Watson und Reese Witherspoon laden breitenwirksam zu Leseklubs im Internet und verleihen dem Austausch über Bücher Glamour.

Aktiv sind die Lesenden auch unter dem Hashtag #frauenlesen, der von der Filmjournalistin Magdalena Miedl am 8. März 2016, dem Internationalen Frauentag, lanciert wurde. Dort werden alte und neue Bücher, Gedichtbände, Graphic Novels von Autorinnen vorgestellt und viele Teilnehmende beschlossen, ein Jahr lang nur Autorinnen zu lesen.

Diese und andere Formen der „Reading Challenge“, bei der eine Leseaufgabe alleine oder gemeinsam bewältigt wird, finden sich zuhauf. Anne Süßkraut und Yvonne Jäschke von der Stadtbibliothek Salzgitter stellen ihre „Reading Challenge“ auf dem Blog der Stadtbibliothek vor – mit Aufforderungen wie „Lies ein Buch, in dem ständig von einem anderen Buch die Rede ist“ oder „ein Buch mit einer Pflanze im Titel“. Die beiden berichten laufend auf dem Blog, wie viele Titel sie schon geschafft haben. Die Teilnehmenden können mitkommentieren.

 

Offline und Online

Formen und Möglichkeiten des sozialen Lesens gibt es noch viele mehr. Für Bibliotheken stellt sich vor allem die Frage, welche wünschenswert und machbar sind unter den Aspekten schrumpfender Budgets, aber zunehmender Automatisierung. Hoher persönlicher Einsatz, Wagemut, Rückschläge – mit all dem ist zu rechnen. Aber ein Ausbau der Anbindung an die lokale Gemeinschaft und eine Beteiligung der Öffentlichkeit an den Vorgängen und am Raum der Bibliothek lohnen sich. Das Internet ist dabei keine Konkurrenz, sondern Inspiration, Verstärkung und Unterstützung.

 

Zum (sozialen) Weiterlesen

Dieser Artikel erschien erstmals in den „Büchereiperspektiven 3/17“.

 

 

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