Bilderbücher für alle!

Zahlreiche Bilderbücher richten sich nicht nur an ein kindliches Lesepublikum, sondern zugleich auch an Erwachsene. Diese "Kunstbilderbücher" begeistern oftmals durch ihre besondere Ästhetik und Illustrationskunst.

AutorIn: 
Andrea Kromoser


Neben und inmitten der populären Bilderbuchproduktion bildete sich eine Sparte heraus, die sich einer auffallend künstlerischen Ästhetik im Bilderbuch widmet. Diese im Folgenden als Kunstbilderbücher bezeichneten Werke richten sich an LeserInnen jeden Alters und erweitern damit die Zielgruppe des Bilderbuches um ein erwachsenes, an der Illustrationskunst interessiertes Publikum.

 

Intertextualität: Treffen unterschiedlicher Medien im Bilderbuch

Illustrationen in Bilderbüchern sind in direktem Zusammenhang mit der Kunst ihrer jeweiligen Zeit zu sehen und zu lesen. "Im Gegensatz zur bildlosen Kinderliteratur liefert das Bilderbuch gewollt oder ungewollt immer auch einen Kommentar zur bestehenden bildästhetischen Kultur."(1) Im Hinblick auf den Zusammenhang des Kunstbilderbuches mit der allgemeinen, bildenden Kunst ist auch der Einfluss anderer Medien auf die Bilderbuchillustration von großer Bedeutung. Diese mit den Begriffen der Intertextualität bzw. Intermedialität (2) bezeichnete Dynamik zwischen Bilderbuchtexten und -illustrationen sowie anderen medialen Einflüssen ist bezeichnend für Bilderbücher, die sich neben einem kindlichen Publikum auch an erwachsene RezipientInnen wenden. Jene doppelt adressierten Werke erzählen zumeist auf den ersten Blick eine einfache und klar nachvollziehbare Handlung. Von dieser deutlichen Grundstruktur abweichend bzw. ausgehend, ergeben sich oftmals weitere Bedeutungs- und Interpretationsebenen, welche nicht selten zusätzlich mit direkten oder indirekten (Bild)Zitaten aus anderen Texten oder Medien (wie Musik, Film oder wiederum den bildenden Künsten) bestückt werden.

 

Umwege: Anspielungsreiche Interpretationsmöglichkeiten

Wolf Erlbruch erzählt in "Nachts" die Geschichte von einem Jungen, der nicht schlafen kann und seinen Vater überredet, mit ihm durch die Nacht zu spazieren. "Was willst du mitten in der Nacht? Nachts wird geschlafen!"(3), fragt der Vater verwundert seinen Sohn. Vordergründig betrachtet, begeben sich also zwei Figuren auf ihren Weg durch die Nacht und passieren dabei unterschiedliche Orte der direkten Umgebung ihres Zuhauses. Wolf Erlbruch gestaltet seine collagierten Illustrationen wie Traumbilder – die Stationen eines Nachtspazierganges werden dabei zu flüchtigen Träumen, welche wiederum an allgemein bekannte Sujets erinnern. Auf einer der Doppelseiten treffen Vater und Sohn beispielsweise auf ein Mädchen in einem altmodisch anmutenden Schürzenkleid. Das Mädchen springt durch einen Reifen, welcher von einem weißen Kaninchen gehalten wird. Ohne ein Wort über Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" verlieren zu müssen, verweist das Bild eindeutig auf diese Figur und eröffnet damit eine weitere Geschichte bzw. einen neuen Handlungsstrang. Der vorerst scheinbar geradlinige Spaziergang der beiden Figuren wird damit durch einen intertextuellen Umweg in Richtung Wunderland erweitert.

 

Zielgruppenerweiterung: Dem Alter sind keine Grenzen gesetzt

Auch Linda Wolfsgruber spielt in ihrem Bilderbuch "Das Nacht ABC", das sich thematisch den einzelnen Buchstaben des Alphabetes widmet, mit aus der Weltliteratur sowie dem Märchen bekannten Figuren. Auf der Seite des Buchstaben D beispielweise schielt Dracula am Rande einer dunkeln Dornenhecke in Dornröschens(4) Richtung. Dieses Kunstbilderbuch wird erst für LeserInnen, welchen die Struktur des ABCs bereit vertraut ist, in seiner Gesamtheit fassbar. Neben seiner Zielgruppe im Volksschulalter kann „Das Nacht-ABC“ auch als schönes Beispiel eines Bilderbuches für Erwachsene gesehen werden, das in seiner Vielfalt an Assoziationen und Begrifflichkeiten Geduld und Durchhaltevermögen im Bilderlesen abverlangt und gerade jene Fähigkeiten mit immer neuen Entdeckungen und Gedankenverknüpfungen belohnt.

 

Anmerkungen:

(1) Jens Thiele: Das Bilderbuch. Ästhetik, Theorie, Analyse, Didaktik, Rezeption. 2. erw. Aufl. Bremen: Universitätsverlag Aschenbeck & Isensee 2003. S. 13.

(2) Ebd. S. 30 - 35.

(3) Wolf Erlbruch: Nachts. 3. Aufl. Wuppertal: Peter Hammer 2000. [Ohne Paginierung]

(4) Linda Wolfsgruber: Das Nacht ABC. Düsseldorf: Sauerländer 2006. [Ohne Paginierung]

 

Literatur:

  • Katrin Feiner: Bilderbuch. Wien: STUBE 2012 [Heidi Lexe (Hg.)/Kathrin Wexberg (Hg.): Reihe Spektrum, Fernkurs Kinder- und Jugendliteratur der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur, Wien].

 

 

 

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