Die App zum Bilderbuch

Man kann sich Bilderbücher vorlesen lassen oder die eigene Stimme einsprechen, es ertönen Geräusche und Lieder, man kann malen oder ein Puzzle zusammenfügen. Bilderbuch-Apps erscheinen in immer neuen Variationen und bieten spannende Interaktionsmöglichkeiten – und der Markt wächst weiter.

AutorIn: 
Silke Rabus


Die Bandbreite bei Bilderbuch-Apps ist groß und reicht von reduzierten Anwendungen, in denen der vorgelesene Text im Zentrum steht, bis hin zu Apps, die eine Vielzahl von Interaktionen ermöglichen. Mira Lobes Bilderbuchklassiker im Verlag Jungbrunnen „Das kleine Ich bin ich“ bleibt beispielsweise als App nahe am Original der 1970er-Jahre, besticht aber durch die angebotene Mehrsprachigkeit. Etwas aufwendiger kommt bei Oetinger die „Pippi-Langstrumpf“-App daher: Man kann die Bilder an den Wänden bemalen oder mit einem Fingertippen klingende Blumen aus dem Gras wachsen lassen. Bei Carlsen ist eine multimediale und interaktive „Aschenputtel“-Adaption erschienen, die nicht nur durch ihre Illustrationen überzeugt, sondern auch eine Vielzahl an Features anbietet: Hier darf man sogar bei der Ballmusik zwischen Disko und Walzer wählen!

 

Trend zum Spielerischen

Wohin der Trend geht, steht dabei außer Zweifel: „Gamification“ heißt das Stichwort und meint, dass Apps immer mehr zum intuitiv erkundbaren Spiel werden – aufwendige Programmierung und höhere Herstellungskosten inklusive. „Auf der Grundlage von Inhalten und Figuren aus dem Buchbereich entsteht ein ganz eigenes Medium, das von vornherein als App konzipiert ist und dem Buch an die Seite gestellt werden kann“, erklärt Carlsen-Pressesprecherin Katrin Hogrebe und verweist auf die Pixi-Explorer-App, mit der man – auf Grundlage der Sachbuchreihe Pixi Wissen – durch das Weltall reisen kann. „Wir bemerken, dass die Nachfrage nach Titeln mit vielen Animationen und Zusatzelementen besonders groß ist“, sagt auch Beate Semmler, die als Plattformmanagerin bei Tigerbooks, einem Online-Laden für animierte, interaktive Kinderbücher, arbeitet. Und Martina Lenhardt glaubt, dass in Zukunft noch mehr Interaktivität eingefordert werden wird. Die Pressesprecherin der Medienproduktionsfirma zuuka, weltweite Agentur für mobile Kinder-Apps und interaktive E-Books, geht davon aus, „dass sich neue Erzählstrategien für die digitalen Medien ausbilden, die sich von der Buchvorlage mehr und mehr emanzipieren.“

Lernthemen werden vermutlich ebenfalls an Bedeutung gewinnen. Lenhardt: „Es gibt ja bereits einige Pilotprojekte an Schulen, die testen, wie sich Tablets zum Lernen nutzen lassen. Das setzt natürlich voraus, dass die Inhalte entsprechend aufbereitet werden.“ Das Leseportal onilo.de geht ein Stück weit in diese Richtung, hier werden zwar keine Apps, aber mit den sogenannten Boardstories doch digitalisierte und teilanimierte Kinderbücher für Schule und Bibliotheken angeboten. Auch im Carlsen Verlag sind rund um die Kinderbuch-Figur Conni schon einige Edutainment-Apps entstanden.

 

Große Herausforderungen

Viele Herausforderungen, denen sich Hersteller von Kinderbuch-Apps derzeit stellen müssen, sind der rasanten technischen Entwicklung geschuldet. „Die beständige Weiterentwicklung der Geräte, das Aufkommen neuer Formate, Software-Versionen und Displays macht das Arbeiten nicht einfacher“, erklärt Martina Lenhardt für die Firma zuuka, die auch für angenehm zurückgenommene Eigenproduktionen wie Mikas Abenteuer“ verantwortlich ist. Welche Geräte in Zukunft eine größere Rolle spielen werden, ist im Moment kaum abzuschätzen. „Derzeit dominieren sicher noch iPad, iPhone und iPod touch den Markt – zumindest wenn man die Zahlungsbereitschaft der Nutzer betrachtet“, analysiert Beate Semmler von Tigerbooks die Situation: „Der Google Play Store und Android gewinnen aber ganz klar an Bedeutung.“ Der App-Store, in dem die meisten Angebote zu finden sind, wird durch die wachsende Zahl der Angebote allerdings zunehmend unübersichtlich. „Zukünftig wird es immer wichtiger werden, dass Eltern hochwertige Apps für ihre Kinder schnell finden können und sie sich auf die Qualität der Inhalte verlassen können. Der digitale Kinder- und Jugendbuchladen Tigerbooks bietet diese Möglichkeit bereits“, meinen daher Bianka Reinhardt und Andreas von Lepel, die in der Verlagsgruppe Oetinger die Abteilung Digitaler Content leiten und mit ihren Titeln bei Tigerbooks vertreten sind.

 

Markt für Kinderbuch-Apps wächst

Sehr wahrscheinlich ist, dass der Markt für Kinderbuch-Apps weiterwachsen wird – wenn auch nicht ganz so schnell wie zunächst erwartet. „Der Markt wird sich vergrößern und stärken und sicher auch weiter differenzieren. Neue Vertriebsplattformen werden dafür sorgen, dass sich Genres besser ausbilden können, dass das Suchen einfacher wird und das Angebot somit insgesamt übersichtlicher“, so Martina Lenhardt. „Durch günstigere Preise neuer Geräte wie etwa des Kindle Fire wird für Buch-Apps und interaktive E-Books ein Massenmarkt erschlossen, den es bis dato hierzulande noch nicht gibt.“ Katrin Hogrebe, Pressesprecherin bei Carlsen, ist ebenfalls davon überzeugt, dass die Entwicklung fortschreiten wird. „2010 sind wir mit den Pixi-Apps gestartet und gehörten zu den ersten auf diesem Gebiet. Was wir damals gemacht haben, kann mittlerweile bereits als E-Book hergestellt werden.“ Oetinger wiederum setzt im Jahr 2013 auf große Marken und bringt Apps zu den Bestsellern „Der kleine Eisbar“, „Der Regenbogenfisch“ und „Die kleine Hexe Lisbet“ auf den Markt, denn der „Bedarf an digitalen Inhalten für Kinder wird wachse“, sind Bianka Reinhardt und Andreas von Lepel uberzeugt. Zum 50. Geburtstag des „Räuber Hotzenplotz“ startete auch Thienemann eine App mit vielen Spielen, weitere Anwendungen sind in Planung.

„Der Markt fur Tablets und Smartphones wächst zunehmend, in Zukunft werden Verlage digitale Inhalte für mobile Endgeräte anbieten müssen“, erklärt Elke Kuhn, Leiterin der Abteilung Digitales Publizieren. Sie warnt allerdings vor überbordender Technikeuphorie: „Ob es immer erforderlich ist, die technische Innovation bei jeder neuen App auf die Spitze zu treiben, wird sich zeigen. Eine ‚Vorlese’-App mit einer Geschichte zum Einschlafen muss keine hochanimierte Spiele-App sein.“

 

Apps helfen beim Vorlesen

Erstmals widmete sich auch die aktuelle Vorlesestudie der ZEIT, der Deutschen Bahn und der Stiftung Lesen dem rasant wachsenden Markt der Bilder- und Kinderbuch-Apps. Unter dem Titel „Digitale Angebote – neue Anreize für das Vorlesen?“ untersuchte sie den Einfluss digitaler Medien wie Tablets, Smartphones oder E-Reader auf das Vorleseverhalten in Familien. Die zentralen Ergebnisse: Elektronische Medien werden als Ergänzung, aber nicht als Ersatz für klassische Bilderbücher betrachtet. Sie haben das Potenzial, bildungsferne Schichten mit Vorleseangeboten zu erreichen. Und Väter, die bisher deutlich seltener vorlesen als Mütter, können über die neuen Angebote motiviert werden. Auch Kinderbuch-Apps tragen damit wesentlich zur Leseförderung bei. In den Öffentlichen Bibliotheken sind Apps derzeit allerdings noch eine Ausnahmeerscheinung. Und solange die rechtliche Situation hinsichtlich des Verleihs der Apps noch nicht hinreichend geklärt ist, wird dies wohl auch noch eine Weile so bleiben. Angesichts des stetig wachsenden Angebots von Kinderbuch-Apps empfiehlt es sich für die Bibliotheken dennoch, die Entwicklung in diesem Marktsegment weiterhin aufmerksam zu beobachten.

 

 

 

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