Fiston Mwanza Mujila bloggt: Sprache, Sprachen

Suaheli, Ciluba, Französisch, Deutsch - Fiston Mwanza Mujila spricht viele Sprachen und tauchte schon früh in Bücher ein, deren Welten er sich aneignete: sich kleiden wie ein Charakter von Musil, lachen wie eine Figur von Sartre...

Ich glaube, dass das Exil in der Sprache oder mit der Sprache (je nachdem) beginnt. Ich möchte aus meiner eigenen Erfahrung erzählen. Ich komme aus dem Kongo. Es gibt zwei Kongo. Der Kongo-Brazzaville und Kongo-Kinshasa. Ich bin aus dem zweiten, dem Kongo Kinshasa. Ich wurde in Lubumbashi, im Süden des Landes geboren. Ich bin mit zwei Sprachen aufgewachsen: Suaheli und Französisch. Mit meinem Vater spreche ich fast immer Französisch und mit meiner Mutter in Suaheli. Als wir noch Kinder waren, haben meine Eltern beschlossen, dass wir beide Sprachen gut sprechen müssen. Wenn man Französisch im Kongo spricht, ist es einfach, einen guten Job zu kriegen. Aber Französisch bleibt, in gewissem Sinne, die Sprache der Intellektuellen, der Mittelklasse, der Bourgeoisie oder eine Sprachprestige.

 

Mein Exil keimte mit dem Französischen aus. Ich habe relativ früh den Weg der Bücher entdeckt. Mit 16 Jahren spazierte ich nicht nur durch die französische Literatur, sondern auch in alle Bücher, die ich in Lubumbashi finden konnte: Gabriel Garcia Marquez, Mariama Bâ, Brecht, Pablo Neruda, Aimé Césaire, Dostojewski ... Diese Bücher und Autoren waren eine Einladung zum Reisen. Es war ausreichend für mich, in einen Roman von Garcia Marquez oder Grass zu hechten, um den Raum und die Zeit zu überqueren. Ich war ein Vogel, ein Vogel ohne Lunge, das heißt, ein Vogel, der Tausende Kilometer ohne zu ermüden fliegen konnte. Ich durchlief, Ich der Grüne Vogel, Ozeane, Städte und Länder, Kulturen und Jahrhunderte.

 

Ich war noch ein kleiner Knabe, aber mit dem Gesicht eines Achtzigjährigen. Ich war ein Geist, eine mystische Kraft, ein Wiedergänger, ein „Mukishi“ wie man in Ciluba, der Sprache meiner Großeltern, sagt. Grenzen gab es keine für mich! Ich war nicht der des Landes Verwiesene, sondern das Exil selbst. Ich vertiefte mich in einem Buch und plötzlich überwand ich die Grenzen, alle Grenzen der Welt. Und nach dem Lesen eines Romans, hörte ich auf ich zu sein. Ich war nicht mehr Fiston oder Fiston Mwanza oder Fiston Mwanza Mujila. Mein Leben mischte sich mit den Figuren des Buches. Ich imitierte einen Charakter von Thomas Bernard. Ich kleidete mich wie einen Charakter von Musil ein. Ich lachte wie ein Charakter von Sartre. Ich sah das Leben als einen Charakter des Jelinektheaters. Ich aß mit den Charakteren von Joseph Roth. Ein endloser Ausflug in der Nichtigkeit, ein endloser Ausflug im Paradies der Wörter und Phrasen, ein endloser Ausflug durch das Labyrinth der Fiktion.

 

Das Exil fing bei meiner Geburt an, in meiner Kindheit, in der Jugend der Welt, seit Noah und seiner Sintflut, seit Isaak, seit Magdalena, seit Babel… Ich musste sehr früh lernen, zu denken und zu schreiben, in Französisch oder in einer ehemaligen Kolonialsprache. Als eine ex-Kolonialsprache ist die Sprache mit Gewalt, Kraft, Blut, Herrschaft verbunden. Ich habe sie seit zu Hause wie ein kongolesischer Mechaniker benutzt. Er kann alles reparieren ohne etwas wegzuschmeißen. Ich wollte immer in der Sprache eine neue Sprache bauen. Die Sprache müsste meiner Meinung nach wieder mal geboren werden.

 

Da ich in Europa bin, hat sich meine Beziehung zur französischen Sprache verändert. Täglich spreche ich nicht auf Französisch obwohl es meine Arbeitssprache ist. Die Sprache bleibt mein Kern, aber ich kann sagen, wenn ich in Französisch schreibe oder denke, sind die anderen Sprachen, die ich spreche, darin enthalten.

Gastblogger/in

Fiston Mwanza Mujila
(c) Leonhard Hilzensauer

Fiston Mwanza Mujila (*1981 in Lubumbashi / Demokratische Republik Kongo) lebt in Graz, schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke und unterrichtet afrikanische Literatur an der Universität. Für seinen ersten Roman, Tram 83 (Zsolnay Verlag), erhielt er zahlreiche Preise. Hier dreht sich alles um eine heruntergekommene Großstadt in Afrika und einen legendären Ort: Das „Tram 83“ ist der einzige Nachtclub der Stadt, ihr pulsierendes Zentrum. Hier, an diesem von Kriegen, Korruption und Globalisierung gezeichneten Ort, sehen sich auch zwei ungleiche Freunde wieder. Rhythmisch und rau erzählt Mwanza Mujila ihre Geschichte, mit einem Drive, der an die Musik von John Coltrane erinnert.

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